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Kolibri

Kolibri

Titel: Kolibri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Benvenuti
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Seufzer lehnte er sich zurück, schloss die Augen und glitt wieder zurück in den dunklen Tümpel. Die geschwollenen, stark geröteten Flecken auf seinen Unterarmen hatte er nicht bemerkt.
    â€žSind Sie nervös?“
    â€žIch?“, fragte Patrick Berger und warf dem Umweltstadtrat einen unschuldigen Blick zu. „Nein, wie kommen Sie drauf?“
    â€žSie sind nervös, stimmt’s?“ Der Umweltstadtrat lümmelte auf seinem Sessel, die Whiskeyflasche in der einen, die Fernbedienung in der anderen Hand, und verfolgte mit einem Auge das Geschehen am Stephansplatz und mit dem anderen Bergers Reaktion darauf, oder, wie im Moment, seinen Mangel daran. „Ich an Ihrer Stelle wäre auch nervös“, fuhr er ungerührt fort und streichelte geistesabwesend die Flasche. „Die Sache scheint zu laufen“, knappes Nicken Richtung Fernseher, „und zwar besser, als ich gedacht hätte. Die Idee mit der Plastikkugel und dem Moderator ist nicht schlecht. Ist doch klar, dass alle spenden, wenn sie dafür ins Fernsehen kommen, ich meine …“
    â€žRudi.“
    Der Umweltstadtrat unterbrach seinen Monolog, so verblüfft war er, von Berger mit Vornamen angesprochen zu werden, was in all den unerfreulichen Jahren ihrer Bekanntschaft noch nie vorgekommen war, und widmete seine Aufmerksamkeit ganz seinem Lieblingsfeind. „Ja?“, fragte er.
    â€žHalten Sie endlich Ihre gottverdammte Klappe. Von Ihrem geistlosen Geschwätz bekomm ich Kopfweh.“
    â€žWusste ich’s doch“, sagte der Umweltstadtrat und wandte sich wieder dem Fernseher zu, „Sie
sind
nervös.“
    Patrick Berger schwieg. Er stand nur da, in seinem zerknitterten, durchgeschwitzten Anzug, der wie ein nasser Sack an seinem übermüdeten, stinkenden Körper herunterhing, starrte auf den Fernseher und umklammerte sein Handy, das nicht und nicht klingeln wollte, wie ein Schiffbrüchiger eine Planke in rauer See umklammert. Verzweifelt.
    Es lief gut, sehr gut sogar. Es kamen so viele Leute, dass nach kurzer Zeit Absperrgitter aufgestellt wurden, die einen schmalen Gang bildeten, den die Spender entlanggehen mussten, wollten sie zum Podest gelangen. Inzwischen hatten die Tischler auf Hightowers Anweisung in aller Eile eine notdürftige zweite Treppe zusammengeschustert, die auf der Rückseite des Podests angebracht wordenwar und über die die Leute nach dem Spenden dieses wieder verlassen konnten. Nur eine Treppe als Auf- und Abgang zu haben, hatte sich als tumultfördernd erwiesen und somit als spendenhemmend, also her mit der Zweittreppe. Mit den Massen waren auch die Kamerateams zahlreicher geworden und mit ihnen die Journalisten der diversen Tageszeitungen und Nachrichtenmagazine. Kurz nach fünf waren die Scheinwerfer erloschen und hatten den Stephansplatz in ein angenehmes Halbdunkel befördert, das nun langsam von den Strahlen der noch tiefstehenden Sonne, die von der Spiegelfassade des Haashauses reflektiert wurden, aufgelöst wurde. Leute strömten in die direkt am Platz gelegene Konditorei
Aida
, belagerten den McDonald’s ums Eck – beide Lokale waren von pfiffigen Managern früher geöffnet worden – oder holten sich an einem der zahlreichen aus dem Boden geschossenen Imbissstände einen Kaffee. Es herrschte Volksfeststimmung. Alle standen herum und unterhielten sich und das Hauptgesprächsthema war natürlich Karl Michael Baumgartner, seine Bombe und seine Mission zugunsten der Umwelt. Es gab kaum einen, der nicht auf seiner Seite stand.
    Dolores Hightower betrachtete das Geschehen von einer etwas abseits gelegenen Bank, auf die sie sich, nachdem ihre Arbeit getan war, niedergelassen hatte, um sich auszuruhen und ihren Füßen ein bisschen Erholung zu gönnen. Wenn sie den Hals reckte, konnte sie gerade noch die auf dem Podest stehende Blase ausmachen, deren Boden mittlerweile dicht mit Geldscheinen und Münzen bedeckt war, keine schlechte Ausbeute für die ersten knappen zwei Stunden. Natürlich wusste sie, dass die erforderliche Summe nie bis vierzehn Uhr zusammenkommen würde, ginge das Ganze im bisherigen Tempo weiter. Im Durchschnitt warf jeder, der aufs Podest kam, zehn Euro in die Blase, schließlich war man live im Fernsehen und da wollte niemand gesehen werden, wie er nur fünfzig Cent reinschmiss. Dennoch, es würde sich nicht ausgehen. Drei Leute pro Minute, Alex Kainz tat sein Möglichstes, die

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