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Kolibri

Kolibri

Titel: Kolibri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Benvenuti
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Angriff nahmen, was Drechsler dahingehend interpretiert hatte, dass Maria nicht auf Zauderer und Jammerlappen stand, was ganz eindeutig für ihn, Drechsler, sprach. Baumgartner hatte ihr, der alten Zeiten wegen, ein Ständchen dargebracht und Maria hatte sich vielleicht mit einem harmlosen Kuss auf die Wange bedankt, mehr nicht. Das wäre pure Höflichkeit gewesen, kein Zeichen für ein Wiederaufflammen der alten Leidenschaft. Und selbst wenn? Er, Drechsler, konnte diesen Baumgartner ja schlecht deshalb, sagen wir mal, erschießen. Oder? Er seufzte resigniert. Es hatte keinen Sinn, sich mit Spekulationen abzuquälen. Bald würde Maria die Fabrik verlassen dürfen und dann hätte er Klarheit.
    â€žVon mir aus könnt ihr gerne noch liegen bleiben“, sagte Lehner, „aber ich muss mir mal die Beine vertreten. Ich bin schon ganz steif.“ Ächzend und stöhnend hievte er sich aus dem Liegestuhl, rückte seine Krawatte zurecht und zog seine Hose hoch.
    â€žVerlaufen Sie sich nicht“, sagte Widmaier und winkte ihm zu.
    Lehner winkte zurück und ging in Richtung Straße davon.
    Fritz Drechsler, in Gedanken immer noch bei dieser vermaledeiten Gesangsdarbietung, starrte indessen den Fernseher an, auf dem die rotglühenden Zahlen der Anzeige in Großaufnahme zu sehen waren. 500.005 Euro. Halbzeit.

NEUNUNDZWANZIG
    Die letzten zwei Stunden hatte Patrick Berger damit zugebracht, fassungslos das Geschehen auf dem Bildschirm zu verfolgen und sich einen Becher Cola nach dem anderen einzugießen, die er mit gierigen Schlucken hinunterstürzte. Dazwischen war er ab und zu aufs Klo geeilt, um die Cola wieder loszuwerden, hatte sich das Gesicht gewaschen und war in den Saal zurückgerannt, um nur ja nicht den entscheidenden Zeitpunkt, das Erreichen der Millionengrenze, zu verpassen.
    Selten hatte er so gelitten. Jede Fünfeuronote, die von einer grellblonden Sekretärin in die Plastikkugel fallen gelassen wurde, hatte einen Dorn in sein Herz getrieben, jeder Fünfziger aus der Hand eines feistgesichtigen Geschäftsmannes hatte diesen Dorn einmal herumgedreht, jede aus einer niedlichen, schokoladenverklebten Kinderhand eingeworfene Eineuromünze hatte den Dorn in unzählige kleine, schmerzhafte Splitter zerteilt. Von den Großspenden ganz zu schweigen. 50.000 Euro von einem Papiergroßhändler, 20.000 von einer Fastfoodkette, ein anonymer Spender hatte gar 100.000 Euro zur Verfügung gestellt. Jedesmal, wenn Alex Kainz, der Moderator, zum Handy gegriffen und von der Hotline den neuesten Spendenstand abgefragt hatte, war Bergers malträtiertes Herz kurz stehen geblieben. Die Summe wurde in geradezu schwindelerregendem Tempo größer. Bald war die halbe Million erreicht. Dann eine dreiviertel Million. Mit einem Blick auf die Uhr fragte sich Berger, wie lange seine Gnadenfrist noch dauerte. Nicht mehr lange, wenn er das Geschehen auf dem Bildschirm richtig interpretierte.
    â€žSchauen Sie sich das an“, sagte der Umweltstadtrat.
    Berger schaute. Ein Mann um die fünfzig, auf konservative Weise gut gekleidet in einen dunkelblauen Anzug, ein weißes Hemd und eine dezente, weinrote Krawatte, erklomm, gefolgt vom Bürgermeister, die Stufen des Podests. In der linken Hand trug er einen großen, schwarzen Schalenkoffer, der nicht ganz leicht zu seinschien. Der Bürgermeister stellte den Mann als Direktor der größten österreichischen Bank vor. Angesichts der rapide wachsenden Spendensumme, so der Bürgermeister, hatte sich der Bankdirektor, nach Rücksprache mit den entscheidungsbefugten Gremien, entschlossen, die noch ausstehenden rund 200.000 Euro vorzuschießen, da abzusehen sei, dass die Million ohnehin bald erreicht sein würde und er gerne dazu beitrage, die brenzlige Lage in der Fabrik so schnell wie möglich zu entschärfen. Der Bankdirektor lächelte die ganze Zeit, nickte an den richtigen Stellen und setzte bei der brenzligen Lage ein betroffenes Gesicht auf. Berger, der dieser Doppelconference angewidert folgte, beschloss, seine sämtlichen Firmenkonten, die von eben dieser Bank verwaltet wurden und die nun, indirekt, dafür sorgte, dass seine Karriere zerstört wurde, sofort aufzulösen, gleich morgen früh. Falls er dann noch eine Firma hatte.
    â€žDie machen das wirklich ausgezeichnet“, kommentierte der Umweltstadtrat das weitere Prozedere, das so aussah: Der Bankdirektor öffnete den

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