Kolibri
die Hand und klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter.
Während Drechsler sich langsam dem Geschäft näherte, fuhr Widmaier den Chevy so nahe an den Eingang, dass der Anhänger, auf dem sich die mit Sand und Autoreifen gefüllte Stahltonne befand, direkt davor zum Stehen kam. Dann stieg er aus und trat ein paar Meter zur Seite.
Drechsler ging den Gang entlang, durch Spaliere von Gewehren, die in Ständern steckten, vorbei an Vitrinen, die mit diversenHandfeuerwaffen, Zielfernrohren, Griffschalen und Messern bestückt waren. Dann sah er die Granate. Soweit er das aus der Entfernung beurteilen konnte, handelte es sich um eine russische F1, einen Typ, der in Osteuropa relativ häufig vorkam und nicht gerade als zuverlässig galt. Vorsichtig schob er die Manipulierstange nach vorne, bis er mit dem Greifer an deren Ende die Granate zu fassen bekam. Behutsam hob er sie hoch, und während er mit kleinen, trippelnden Schritten rückwärts zum Ausgang ging, lieà er sie keine Sekunde aus den Augen. An der Türschwelle drehte er sich um und sah den Anhänger mit der Stahltonne. Widmaier öffnete den Deckel, Drechsler trat hinaus ins Freie und bugsierte die Granate vorsichtig in die Tonne, woraufhin Widmaier sofort den Deckel schloss. Sollte sie jetzt explodieren, hätten der Sand und die Autoreifen die Wucht zum gröÃten Teil abgefangen, den Rest hätten die Stahlwände abgedämmt.
Widmaier grinste, ging um den Anhänger herum und nahm Drechsler den Helm ab. âWie warâs?â, fragte er.
Drechsler wischte sich den Schweià von der Stirn. âEin Kinderspielâ, sagte er. âRussischer Blindgänger.â
Widmaier nickte wissend und half Drechsler, den schweren Bombenschutzanzug auszuziehen. âKein Wunder, dass der Kommunismus zusammengebrochen istâ, sagte er und verstaute den Anzug und die Manipulierstange im Heck des Chevy.
Drechsler winkte einen der Uniformierten herbei und bat ihn, die StraÃe für sie freizumachen. Der Uniformierte ging zurück zur Absperrung und wies die Leute an, zur Seite zu gehen. Drechsler lieà sich auf den Beifahrersitz plumpsen, fischte den Fernseher aus dem Handschuhfach und drückte auf den Einschaltknopf.
Verwundert fragte Widmaier: âDu lässt mich fahren?â
Drechsler nickte abwesend und schüttelte den Fernseher, der wieder kein Bild zeigte. Er warf einen Blick auf seine Uhr und fluchte. Das Spiel begann in zwei Minuten.
âWas machst du heute Abend?â, fragte Widmaier, während er den Wagen durch die Menschenmenge stadtauswärts Richtung Bisambergsteuerte, wo sie die Granate in einem Steinbruch unter kontrollierten Bedingungen sprengen würden.
Drechsler grinste und zwinkerte Widmaier anzüglich zu. âIch werd Maria anrufen und â¦â
Widmaier stöhnte auf. âErspar mir die Detailsâ, sagte er.
âIch lad sie ins Kino ein, das ist alles.â
âWann fängt der Film an?â
âKeine Ahnung. Ich hoffe, es gibt eine Mitternachtsvorstellung.â
âRomantischâ, sagte Widmaier in einem Tonfall, der das Gegenteil verkündetete.
âIch weiÃâ, sagte Drechsler unbeeindruckt.
âKarin und ich gehen ins
Kent
, so gegen acht, komm doch mit.â
Drechsler dachte nach. Das
Kent
war ein türkisches Lokal im Sechzehnten Bezirk, in dem es ausgezeichnetes Essen gab. Und einen riesigen Fernseher. âOkayâ, sagte er, nickte und warf den Fernseher zurück ins Handschuhfach.
âWas ist damit?â, fragte Widmaier und warf Drechsler einen besorgten Blick zu. âSag nicht, du hast ihn kaputt gemacht.â
Drechsler lächelte und stieà einen resignierten Seufzer aus. âIch glaube, die Batterie ist leer.â
ZEHN
Die ganze Fahrt über, er hatte die schnellere Friedhofsroute gewählt, hatte er vor lauter Wut kaum die Augen aufgebracht. Jetzt, als Karl Michael Baumgartner seine Wohnung betrat, schwitzend, keuchend, ein unangenehmes Kratzen im Hals, riss er die Augen erst mal weit auf, denn das gesamte Vorzimmer, die Küche, und, soweit er das in der Tür stehend beurteilen konnte, ein GroÃteil der restlichen Wohnung lag hinter übelriechenden Rauchschwaden verborgen.
Er beförderte die Tür mit einem Tritt ins Schloss, tastete sich hustend ins Schlafzimmer, wo er alle Fenster aufriss, dann taumelte er in die Küche und schaffte es beim dritten Mal, den Topf mit dem vor
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