Kolibri
putzen, aufzuräumen, Ordnung in seiner äuÃeren Welt zu schaffen. Er kramte in der Kiste mit den Tapes herum, förderte eine Shellac-Kassette zutage und fütterte damit den Rekorder. Musik ertönte. Ein Bass, der in seinen Eingeweiden wühlte, eine Gitarre, die sein Gehirn in Stücke sägte, ein Schlagzeug, das diese Stücke zerstampfte, und eine Stimme, die all das höhnisch kommentierte.
Während die Töne auf ihn einstürmten, öffnete er die Klappe des Backrohrs. Eine Gestankswolke stieà ihm entgegen, die ihm beinahe den Atem raubte. Blinzelnd trat er zwei Schritte zurück, hielt sich die Hand vor den Mund und linste ins Innere des Backrohrs. Nur mit viel Fantasie konnte er erahnen, was dieser formlose Klumpen, der jetzt einer ganzen Kolonie von Maden Unterschlupf und Nahrung bot, einmal gewesen sein mochte. Er tippte auf Pizza Funghi. Unerschrocken kroch er näher, streckte den Arm aus und packte das Backblech mit einem Ruck. Er zog es heraus, lieà es auf den Boden fallen und deckte es mit einem Geschirrtuch zu. Dann zerrte er einen der groÃen, durchsichtigen Müllsäcke unter der Spüle hervor, trennte mit spitzen Fingern die beiden Plastiklagen und stülpte den Sack, so weit es ging, über das Backblech. Er kippte das Blech und schüttete Pizza, Maden und Geschirrtuch hinein, knotete den Sack zu und stellte ihn auÃer Sichtweite neben die Eingangstür.
Die nächsten beiden Stunden verbrachte er damit, abgelaufene Lebensmittel aus dem Kühlschrank zu entfernen, das fettige Gitter des Gasherdes zu reinigen, die beiden prallvollen Säcke mit Dosen, Altglas, Altpapier, Plastikverpackungen und Biomüll in die dafür vorgesehenen Container auf der anderen StraÃenseite zu leeren, wobei er diesen Gang gleich auch dazu verwendete, die Madenkolonie fachgerecht zu entsorgen, nämlich in den Biomüllcontainer. AnschlieÃend saugte er die gesamte Wohnung, wobei er die Spinnean der Küchendecke verschonte, putzte Bad und Klo, staubte die Möbel ab, reinigte eher oberflächlich die Fenster (es hatte vor kurzem sowieso geregnet) und sank schlieÃlich mit rauen Händen und durchgeschwitztem T-Shirt auf einen Küchenstuhl, wo er sich erst mal ein paar Minuten Erholung gönnte.
Irgendwie fühlte er sich besser, und irgendwie nicht. Irgendwie hatte er das Gefühl, mit Volldampf in die falsche Richtung gelaufen zu sein. Er griff zum Kassettenrekorder und brachte Shellac zum Schweigen, dann erhob er sich und ging ins Vorzimmer. Er brauchte Rat und Zuspruch. Und Trost. Er würde Daniel anrufen und ihm sein Herz ausschütten. Würde ihn einladen, vorbeizukommen und einen Schluck zu trinken, ein bisschen über alte Zeiten plaudern und so weiter. Er griff zum Telefon und tippte Daniels Nummer ein. Nach viermaligem Klingeln schaltete sich der Anrufbeantworter ein und eine raue Tonbandstimme teilte ihm mit, dass Doktor Daniel Kollaritz im Moment nicht erreichbar sei. Fluchend versuchte Karl es daraufhin in der Ordination, wo eine weibliche Stimme ihm via Anrufbeantworter mitteilte, dass heute keine Ordination stattfinde. Karl fluchte und blätterte in dem zerfledderten Telefonverzeichnis herum, das er aus einer Schublade der Kommode genommen hatte, aber er fand Daniels Handynummer nicht, und da er sie nicht auswendig wusste, klatschte er das Telefon so heftig auf die Kommode, dass der Hörer von der Gabel hüpfte. Kurz spielte er mit dem Gedanken, seinen Vater anzurufen, aber er wusste nicht, ob dieser schon wieder in Wien war oder immer noch oder schon wieder irgendwohin unterwegs, um gegen das Unrecht in der Welt zu demonstrieren. An einen Anruf an seine Mutter verschwendete er keine drei Sekunden, sie war in Afrika, in einem Kaff in Uganda, in dem es, soweit Karl wusste, kein Telefon gab, und falls doch, so kannte er die entsprechende Nummer nicht.
Er tigerte im Vorzimmer auf und ab und ging im Kopf die Namen und Gesichter von Studienkolleginnen und -kollegen durch, aber die meisten dieser Kombinationen erwiesen sich als unsicher und trügerisch, und da er sich an keinen einzigen Nachnamen, geschweigedenn an eine Telefonnummer erinnern konnte, gab er dieses Vorhaben bald auf.
Er wanderte in der Wohnung umher und lieà seinen Blick über die Gegenstände schweifen, die sein Leben in gewisser Weise widerspiegelten. Er öffnete die Schlafzimmertür und lehnte sich an das weiÃbemalte Holz. Auf dem
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