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Kolibri

Kolibri

Titel: Kolibri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Benvenuti
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sich hinkohlenden Chili vom Feuer zu ziehen, wobei er sich die Finger verbrannte. Aus Angst, die Nachbarn würden, durch den Rauch im Stiegenhaus alarmiert, die Feuerwehr rufen, ließ er das Küchenfenster geschlossen und versuchte, den beißenden Qualm mit Hilfe eines Geschirrtuches in den Gang und von dort via Schlafzimmer ins Freie zu befördern, was nur schwer gelang. Nach einer knappen Viertelstunde lehnte er röchelnd und keuchend am Fensterbrett und tupfte sich mit dem feuchten Geschirrtuch den Schweiß von der Stirn. Schließlich, nach weiteren zehn Minuten, hatte sich der Rauch so weit verzogen, dass Karl es wagen konnte, die Küche wieder zu betreten und die angebrannten Reste des Chili mühsam aus dem Topf zu kratzen und im Klo runterzuspülen. Er warf einen Blick in den Spiegel und dachte bei sich, hallo Fremder, du magst zwar nett sein, aber wir kaufen trotzdem nichts. Sein Gesicht war rotgefleckt, sein Haar stand wirr in die Höhe, die Augen tränten aus tiefen Höhlen, die Lippen waren rissig und trocken, sein feuchtes T-Shirt klebte am Körper und sah so aus und roch auch genau so wie das Geschirrtuch, das vorne in seiner Trainingshose steckte. Er warf es zu dem Haufen Dreckwäsche, der ihn aus der Ecke höhnisch angrinste, und beugte sich übers Waschbecken. Er drehte das Wasser so heiß wie möglich auf, holte tief Luft und schrubbte Hände, Unterarme und Gesicht mit Seife. Aber es half nichts, er fühlte sich immer noch dreckig, vor allem innerlich.
    Kein Wort der Entschuldigung oder des Bedauerns war Berger über die Lippen gekommen, keinerlei Bestürzung war in seinem Gesicht zu lesen gewesen, als Doktor Lehner geschildert hatte, dass er, Karl Michael Baumgartner, sich bei dem Laborunfall durchaus ernsthafte Verletzungen, ja sogar den Tod hätte holen können. Bergers einziges Interesse galt ihm selbst und dem Image seiner dämlichen Firma. Sicher, es war Karls Fehler gewesen, beim Programmieren der Zentrifuge nicht aufgepasst zu haben, aber da Menscheneben Fehler machten, gab es Sicherheitssysteme, die die Konsequenzen aus diesen Fehlern möglichst gering halten sollten. Und genau dieses Sicherheitssystem hatte nicht funktioniert. Berger sah in Karl keinen Menschen, dem man eine falsche Entscheidung zubilligte, sondern einen Produktionsfaktor, der den
faux pas
begangen hatte, mehr zu kosten als einzubringen.
    Während er sich abtrocknete, fragte er sich, warum er Berger all dies nicht gesagt hatte, vorhin, in seinem schicken Büro mit dem herrlichen Blick auf den Zentralfriedhof, und lieferte sich selbst gleich die Antwort: Er hatte Angst gehabt, seinen Job zu verlieren, kein Geld mehr zu verdienen und den Traum eines alten Mannes platzen zu lassen. Nun, er hatte den Mund gehalten und alles runtergeschluckt, und was hatte ihm das eingebracht? Er war nicht nur arbeitslos, nein, er stand auch noch auf einer Schwarzen Liste und würde, schenkte er Bergers Drohung Glauben, nicht so bald wieder einen Job in der Branche finden. Toll.
    Seufzend rubbelte er sich das Haar trocken und begutachtete seinen Hals. Die roten Flecken waren verschwunden und wenn er schluckte, verspürte er keinerlei Beschwerden mehr. Eigentlich, dachte er, ist ja nichts passiert. Ich habe einen Fehler gemacht und durch einen dummen Zufall ist alles ein bisschen aus dem Ruder gelaufen. Aber: Ich lebe noch, nichts tut mir weh, danke der Nachfrage. Während er ein bisschen Bepanthen auf seine Hände schmierte, fragte er sich, warum er sich dennoch so schlecht fühlte, so, als hätte er den Schwanz eingezogen und wäre weggerannt, ohne überhaupt den Versuch zu wagen, sich zu wehren.
    Nachdenklich trabte er in die Küche. Auch hier hatte sich der Rauch Gott sei Dank schon fast vollständig verzogen. Er öffnete das Fenster, das ins Stiegenhaus hinaus ging, einen Spalt breit, um so für ein wenig Durchzug zu sorgen. Geistesabwesend begann er, den Topf, der ehedem Chili beinhaltet hatte, mit einem Kupferschwamm zu bearbeiten, bis der Boden wieder glänzte und funkelte wie ein Spiegel. Er wusste, was er hier tat, war blödsinnig. Er sollte den Topf Topf sein lassen und sich hinsetzen und nachdenken,wie er aus diesem Schlamassel am besten wieder herauskam. Aber er war einfach zu unruhig, er konnte nicht stillsitzen und sich konzentrieren, er musste etwas tun, etwas Konkretes. Er verspürte das unwiderstehliche Bedürfnis, noch mehr Zeug zu

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