Kolibri
langer Asche. Mit steifen Knien beugte sie sich aus der Hüfte zu Karl herunter und krallte ihre Finger in sein T-Shirt.
âWas wollen Sie?â, fragte Karl unsicher. Das Pochen in seinem Schädel schwoll sekündlich an. Er warf einen Blick auf die Rumflasche, die immer noch zwischen seinen Beinen klemmte, und griff danach.
âGib mir zwanzig Centâ, sagte die Frau mit heiserer Stimme und deutete mit dem Kinn auf die Hand voll Münzen, die neben Karl im Gras lag. Die Asche löste sich von ihrer Zigarette und rieselte knapp neben Karl zu Boden.
Karl zog den Korken mit den Zähnen aus der Flasche und nahm einen tiefen Schluck. Augenblicklich wurde das Pochen leiser.
âZwanzig Centâ, sagte die Frau erneut und zerrte Karl am T-Shirt.
Karl steckte den Korken zurück in die Flasche und blinzelte, um den Rauch aus den Augen zu bekommen. Die Sonne stand immer noch hoch am Himmel, er hatte vielleicht eine halbe Stunde gedöst. Er schob die Hände der Frau von sich weg, kramte in den im Gras liegenden Münzen herum, fand ein Zwanzigcentstück und drückte es der Frau in die Hand.
Die Frau betrachtete es ein paar Sekunden lang, nahm einen Zug von ihrer Zigarette und krächzte schlieÃlich: âGib mir fünfzig.â
Karl strich sich das Haar aus der Stirn und hockte sich auf. âNeinâ, sagte er. âSie haben gesagt, Sie wollen zwanzig, ich hab Ihnen zwanzig gegeben.â
âGib mir fünfzig, du ScheiÃkerl!â, schrie die Frau.
Einige Leute drehten sich um und warfen Karl feindselige Blicke zu. Ein junger Säufer, der eine arme obdachlose Frau blöd anmachte. Schämen sollte er sich.
âSie wollten zwanzig, Sie haben zwanzig bekommenâ, sagte Karl mit leiser Stimme. âWenn Sie fünfzig wollen, müssen Sie auch fünfzig verlangen. Ich kann nichts dafür, dass Sie nicht wissen, was Sie wollen.â
Die Frau öffnete den Mund und lieà die schwelende Zigarette neben Karl ins Gras fallen. Karl raffte seine Münzen und den Schlüsselbund an sich und stand auf. Die Frau trat ein paar Schritte zurück, deutete mit dem Finger auf Karl und brüllte: âIch weià genau, was ich will! Ich brauch keinen, der mir das sagt! Ich weiÃ, was ich will!â Dann spuckte sie auf den Boden, drehte sich um und wankte davon.
Während Karl die Münzen und den Schlüsselbund in die Hosentasche steckte, war er sich der Blicke der übrigen Parkbesucher bewusst. Sie konnten ihren selbstgerechten Hass auf Karl als Täter projizieren und sich mit der obdachlosen Frau als Opfer identifizieren. Und obwohl Karl der Frau Geld gegeben hatte, war er der Gefickte.
Mit hängendem Kopf verlieà er das alte AKH. Er trabte hinunter Richtung Uni, blieb ab und an stehen, um einen Schluck seines immer geringer werdenden Rumvorrats zu trinken, und fühlte sich zusehends elender. Bei einer Telefonzelle blieb er stehen, warf ein paar Münzen ein und wählte Daniels Nummer. Abermals bekam er nur den Anrufbeantworter an den Apparat. Frustriert knallte er den Hörer auf die Gabel. Er ging weiter, lieà die Uni rechts neben sich und wankte den Schottenring entlang. Ab und zu blieb er stehen, da er sich nicht mehr in der Lage sah, den entgegenkommenden Fahrradfahrern auszuweichen, dann setzte er sich für ein paar Minuten auf eine der Holzbänke, trank einen Schluck Rum und starrte über den Ring zum
Hotel de France
. Vor einem Jahr, erinnerte er sich, hatte er sich hier ganz in der Nähe impfen lassen, bei der MA irgendwas, gegen Hepatitis B und C, Diphtherie und die ganze ScheiÃe. Er seufzte. Vor einem Jahr hatte seine Zukunft noch strahlend ausgesehen, jetzt war sie nur noch eine schwarze Wand.
Er stemmte sich von der Bank hoch und trabte weiter. SchlieÃlich fand er sich am Donaukanal wieder. Vorsichtig ging er den graffitiverschmierten Abgang hinunter, in dem es nach Pisse und Schlimmerem stank, und hielt sich dann rechts. Zaghafte Schritte brachten ihn an die Betonkante des Kanals, wo er sich niederlieÃ. Links von ihm befand sich das
Flex
, dessen bunt bemalte Wände in der Sommerhitze flimmerten wie eine Fata Morgana von einem anderen Stern. Grübelnd starrte Karl auf den Donaukanal. Er kam sich so nutzlos vor wie eine tickende Uhr in einem leeren Zimmer.
Das Wasser wirkte verlockend.
ELF
Maria Eichinger saugte an der Narbe an ihrem Handgelenk, die sie sich als Elfjährige zugefügt
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