Kolibri
Zeitbombe. Kam Baumgartner irgendwie an dieses Ãl, analysierte es und machte das Ergebnis öffentlich, tja, dann hieà es adieu Firma, adieu guter Ruf, adieu Geld. David Penrose würde ihn mit Hilfe eines dieser wahnsinnigen Amianwälte auf eine Summe verklagen, bei der Berger die Spucke wegbliebe. Dann konnte er einpacken. Aus, finito, the end, baby. Er verfluchte sich im Stillen, dass er den Behälter bei seiner Flucht aus seinem â eigenen! â Büro nicht mitgenommen hatte, aber das brachte jetzt auch nichts. Jetzt galt es zu überlegen, wie er aus diesem Schlamassel möglichst mit heiler Haut wieder herauskam, und nach intensivem Nachdenken fiel ihm nur eine Lösung ein. Die WEGA musste die Fabrik stürmen, und zwar so schnell wie möglich, denn je länger Baumgartner sich in der Fabrik aufhielt, desto gefährlicher wurde die Lage für ihn, Berger. Die Bombe konnte, absichtlich oder durch Zufall, hochgehen und dabei den Safe zerstören. Die durch den Zeitungsartikel ohnehin schon sensibilisierte Ãffentlichkeit würde natürlich lautstark eine lückenloseUntersuchung des Vorfalls fordern, inklusive Analyse des angeblich allergenen Rosenöls, das in Bergers Büro gefunden werden würde. Oder, dachte Berger und wischte sich den Schweià von der Stirn, oder Baumgartner schaffte es irgendwie, vielleicht mit Hilfe von Säure aus dem Labor, den Safe selbst zu öffnen, stieà auf das Ãl, machte ein paar Untersuchungen, und dann, adÃos. Oder, noch schlimmer, Baumgartner stellte die Bedingung, dass alle Ãlproben analysiert wurden, inklusive der im Safe, damit er aufgab, mit demselben Ergebnis für Berger. Jetzt konnte er nur noch darauf hoffen, dass die WEGA sofort stürmte und Karl damit all dieser Optionen beraubte. Ein überwältigter Karl konnte keine Bedingungen mehr stellen, konnte keinen Safe mehr aufätzen und keine Bombe mehr zünden.
Er zückte sein Handy, rief Bernhard Schrempf an, der von der Besetzung der Fabrik schon gehört hatte, und wies ihn an, zum Zentralfriedhof rauszufahren und sich für weitere Anweisungen bereitzuhalten, was Schrempf, loyal wie immer, ohne groà nachzufragen versprach. Verzweifelt schüttelte Berger den Kopf. Er, ein erfolgreicher Topmanager, ein Mann mit einer Vision auf dem Weg nach oben, musste sich auf die Polizei, diese Bande dumpfer Proleten, und einen dürren Gentechniker verlassen. Er lachte ein freudloses Lachen, das wie das Röcheln eines gequälten Tieres klang.
âAmüsieren Sie sich?â, rief der Umweltstadtrat herüber und machte ein saures Gesicht.
Berger schenkte sich eine Antwort und kämpfte sich mühsam von der Bank hoch, die trotz der dünnen Polsterung über dem harten Holz zum weiteren Sitzenbleiben verlockte. Während er den teppichbelegten Gang auf die drei Männer zuging, musterte er sie eingehender. Der Verbindungsoffizier war ein Feschak, den man auch gut vor einer Kamera positionieren konnte. Da hatte der Polizeistab groÃes Geschick und ein gutes Händchen bewiesen. Qualtinger war definitiv der richtige Mann am richtigen Ort. Bergers Blick wanderte weiter zum Bürgermeister. Dieser trug einen dunklen, offenbar maÃgeschneiderten Anzug, ein weiÃes Hemd mit blauenLängsstreifen und eine dunkelblaue Krawatte, die auf Halbmast hing. Sein schütteres Haar war aus der Stirn gekämmt und legte damit viel von seinem langen, schmalen Gesicht mit den groÃen, dunklen Augen frei, das ihm das Aussehen eines sich ständig in Trauer befindlichen Vogels verlieh. Der Umweltstadtrat, nun, er war ein Grüner, das sagte wohl alles, oder? Mit missbilligender Miene lieà Berger seinen Blick von den ausgebeulten Jeans über das schlabbrige gelbe T-Shirt hinauf zum Kopf gleiten, der von dichtem, sehr hellem Haar, das im Nacken von einem leuchtendroten Gummiring zusammengehalten wurde, bedeckt war. Das fleischige Gesicht wurde von einem schlecht gestutzten Dreitagebart beherrscht, der in Berger die Assoziation an einen dieser Filmpiraten hervorrief, die sich zwar immer äuÃerst charmant gaben, einen im Endeffekt aber dennoch bis aufs Hemd auszogen. Eine Assoziation, die Berger durchaus zutreffend fand, wenn er an all die Hindernisse dachte, die der Stadtrat ihm bisher in den Weg gelegt hatte.
âSchon irgendwelche neuen Erkenntnisse?â, fragte Berger, als er bei den drei Männern angelangt war.
Qualtinger
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