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Kolibri

Kolibri

Titel: Kolibri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Benvenuti
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seine Bartstoppeln strich, versuchte er, die momentane Lage möglichst realistisch einzuschätzen. Er steckte in der Scheiße, das war ihm klar, und zwar bis zum Hals. David Penrose, den Berger zweimal zu einem Geschäftsessen getroffen hatte, das erste Mal in Wien, das zweite Mal in New York, hatte einen umgänglichen Eindruck gemacht und sich als äußerst kurzweiliger Unterhalter herausgestellt, aber Berger gab sich keinen Illusionen hin. Hinter der Fassade des naiv-charmanten Amikumpels verbarg sich ein knallharter Geschäftsmann, der keinem seiner Mitarbeiter einen Fehler dieser Größenordnung, wie Berger ihn gerade im Begriff war zu machen, durchgehen lassen würde. Bei ihrem ersten Treffen, sie hatten sich zum Frühstück im Foyer des
Bristol
, gegenüber der Oper, getroffen, hatte Penrose Berger sehr klar und deutlich zu verstehen gegeben, was er von ihm für das fürstliche Gehalt, das er bereit war zu zahlen, erwartete. Die Umgangsformen eines Diplomaten, hatte Penrose lächelnd gesagt und sich ein Stück Räucherlachs mit Spiegelei in den Mund geschoben, und die Aggressivität eines Hais im Blutrausch. Schaffen Sie das? Berger hatte einen Schluck frischgepresstenOrangensaft getrunken, seine strahlendweißen Zähne präsentiert und genickt. Antworten Sie mit Ja oder Nein, hatte Penrose gesagt, oder sind Sie eine Marionette? Berger war zusammengezuckt, dann hatte er ein etwas zu lautes Ja hervorgestoßen und Penrose damit ein weiteres Lächeln abgerungen. Zwei Minuten später hatten sie den Vertrag unterschrieben.
    Mit einem wehmütigen Lächeln dachte Berger an diesen Montagmorgen vor rund vier Jahren zurück. In diesen vier Jahren war viel passiert und nichts davon wäre möglich gewesen ohne die schützende Hand von David Penrose. Diesem Mann jetzt Rede und Antwort stehen zu müssen, behagte Berger gar nicht, und er war froh über jede Minute, die er diese unangenehme Pflicht noch hinauszögern konnte.
    Seufzend richtete er sich auf, strich sich die Haare aus der Stirn und blinzelte. Der Bürgermeister, der Verbindungsoffizier der Polizei und der Umweltstadtrat standen vorne neben dem Berichterstatterpult, steckten die Köpfe zusammen und unterhielten sich angeregt. Ab und zu warf einer der Männer einen Blick zu Berger herüber, musterte ihn und wandte sich dann wieder seinen Gesprächspartnern zu. Berger wusste, dass er eigentlich ebenfalls dort drüben stehen und seine Ratschläge einfließen lassen müsste, aber er hatte einfach mal zwei Minuten für sich allein gebraucht, um über alles nachzudenken. Alles, denn genau darum ging es. Alles stand für ihn auf dem Spiel. Er schloss die Augen und versuchte, alle Probleme, die sich durch Baumgartners Besetzung der Fabrik ergeben könnten, zu analysieren.
    Sollte Baumgartner mindestens bis morgen Mittag durchhalten, wäre die Lieferung Rosenblüten, die heute Abend eingetroffen war, wahrscheinlich vertrocknet und damit für eine weitere Verwendung unbrauchbar. Rohstoffe im Wert von zigtausend Euro kaputt. Penrose würde ihm, Berger, zwar einen Anschiss verpassen, der sich gewaschen hatte, aber damit würde Berger fertig werden. Gerade noch.
    Sollte Baumgartner auf der Suche nach irgendwelchen belastenden Unterlagen in Zusammenhang mit dem analysierten Rosenölin den Schreibtischen herumstöbern, nun, dann viel Glück, denn diese Unterlagen befanden sich an einem sicheren Ort, nämlich in der Wohnung von Bernhard Schrempf.
    Kurz öffnete Berger die Augen, kniff sich in die Nasenwurzel und zwang sich, weiter nachzudenken. Okay. Die Rose Nummer eins. Was, wenn Baumgartner sie entdeckte? Halt, nein, nicht so schnell. Die Rose befand sich draußen auf der Terrasse im Saranhaus, umgeben von rund hundert anderen, völlig identisch und ebenfalls ganz normal aussehenden Rosen, und abgesehen von dem dünnen Faden, der selbst bei Tageslicht nur schlecht auszumachen war, war sie von den übrigen Blumen nicht zu unterscheiden. Außerdem hatte Baumgartner wahrscheinlich zu viel Angst, um sich auf der Terrasse, wo er sich im Schussfeld der WEGA befand, zu zeigen. Gut, diese Gefahr war also gebannt.
    Blieb noch das eigentliche, das einzig echte Problem, nämlich der Behälter, der sich im Safe von Patrick Bergers Büro befand und bis zum Rand mit belastendem Öl gefüllt war. In der jetzigen Situation war dieses Ding eine tickende

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