Kollaps
historische Spuren von Waldzerstörung und Bodenerosion (beispielsweise Pollenzählungen und fossile Pflanzenteile) betrachtet und außerdem Holz und anderes Baumaterial untersucht. Auf der Grundlage solcher Kenntnisse über Zwischenschritte und Ergebnisse wollen wir nun kurz fünf der sechs nordatlantischen Kolonien in der Reihenfolge zunehmender Isolation und abnehmenden Reichtums betrachten: die Orkneyinseln, die Shetlandinseln, die Färöer, Island und Vinland. In den beiden nächsten Kapiteln werden wir dann das Schicksal der Wikingerkolonie auf Grönland genauer erörtern.
Die Inselgruppe der Orkneys liegt unmittelbar vor der Nordspitze Großbritanniens rund um den großen, geschützten Hafen Scapa Flow, der in beiden Weltkriegen als Hauptstützpunkt der britischen Marine diente. Von John O’Goats, dem nördlichsten Punkt des schottischen Festlandes, sind es nur rund 18 Kilometer bis zur nächsten Orkneyinsel, und von der Inselgruppe bis nach Norwegen konnten die Wikinger mit ihren Schiffen in knapp 24 Stunden reisen. Deshalb war es für die norwegischen Wikinger einfach, die Orkneyinseln zu besiedeln, alle benötigten Dinge aus Norwegen oder von den Britischen Inseln zu importieren und ihre eigenen Exportgüter kostengünstig zu versenden. Die Orkneys sind so genannte kontinentale Inseln: Sie stellen eigentlich ein Stück des britischen Festlandes dar, das nur deshalb abgetrennt wurde, weil der Meeresspiegel auf der ganzen Welt vor 14 000 Jahren mit dem Ende der Eiszeit durch das abschmelzende Eis anstieg. Über die zuvor vorhandene Landbrücke wanderten zahlreiche Landsäugetiere ein, darunter Rothirsche und Hasen, die eine gute Jagdbeute abgaben. Das einheimische Volk der Pikten wurde von den Wikingern schnell unterworfen.
Als südlichste (abgesehen von Vinland) Nordatlantikkolonie der Wikinger, die außerdem am Golfstrom lag, erfreuten sich die Orkneyinseln eines milden Klimas. Ihr schwerer, fruchtbarer Boden hatte sich durch die Vereisung regeneriert, und eine nennenswerte Erosionsgefahr bestand nicht. Deshalb betrieben die Pikten bereits Landwirtschaft, bevor die Wikinger eindrangen; sie wurde unter den Wikingern fortgesetzt und ist bis heute sehr produktiv. Zu den landwirtschaftlichen Exportprodukten unserer Zeit gehören Rindfleisch und Eier, aber auch Schweinefleisch, Käse und ein wenig Getreide.
Die Wikinger eroberten die Orkneyinseln um das Jahr 800 n. Chr. und benutzten die Inseln dann als Stützpunkt für Überfälle auf dem nahe gelegenen britischen und irischen Festland. Sie bauten eine reiche, mächtige Gesellschaft auf, die eine Zeit lang ein unabhängiges norwegisches Königreich war. Ein Ausdruck für den Reichtum der Wikinger auf den Orkneyinseln ist ein fast acht Kilo schwerer Silberschatz, der um das Jahr 950 vergraben wurde. Er hat auf keiner anderen Insel im Nordatlantik seinesgleichen und reicht mit seiner Größe an die größten Silberschätze des skandinavischen Festlandes heran. Ein weiteres Zeichen ist die St-Magnus-Kathedrale, die im 12. Jahrhundert nach dem Vorbild der gewaltigen britischen Kathedrale in Durham errichtet wurde. Im Jahr 1472 ging das Eigentum an den Orkneyinseln ohne Eroberung von Norwegen (das damals Dänemark unterstand) an Schottland über, und zwar aus sehr einfachen Gründen der Hoheitspolitik (der schottische König James verlangte einen Ausgleich, nachdem Dänemark die Mitgift nicht gezahlt hatte, die seine Ehefrau, eine dänische Prinzessin, mitbringen sollte). Auch unter schottischer Herrschaft sprachen die Bewohner der Orkneyinseln bis ins 18. Jahrhundert hinein einen norwegischen Dialekt. Heute sind die dort ansässigen Nachfahren der einheimischen Pikten und norwegischen Invasoren wohlhabende Bauern, deren Reichtum außerdem durch die Förderung von Nordseeöl ergänzt wird.
Vieles von dem, was ich gerade über die Orkneyinseln geschrieben habe, trifft auch auf die nächste Kolonie im Nordatlantik zu, die Shetlandinseln. Auch sie waren ursprünglich von bäuerlichen Pikten besiedelt, wurden im 9. Jahrhundert von Wikingern erobert, kamen 1472 unter schottische Herrschaft, sprachen danach noch einige Zeit lang Norwegisch und profitieren in jüngster Zeit vom Nordseeöl. Die Unterschiede bestehen darin, dass sie ein wenig abgelegener sind und weiter nördlich liegen (80 Kilometer nördlich von den Orkneyinseln und 210 Kilometer nördlich von Schottland): es ist windiger, der Boden ist schlechter und die landwirtschaftliche Produktivität ist
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