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Kollaps

Kollaps

Titel: Kollaps Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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sich am Ende mit den Königen von Norwegen und (später) von Dänemark auseinander setzen mussten. Sie waren aber unter anderem auch deshalb ausgewandert, weil sie sich der wachsenden Macht der späteren norwegischen Könige entziehen wollten, und deshalb setzten die Gesellschaften in Island und Grönland nie selbst Könige ein. Die Macht blieb dort in der Hand einer Militäraristokratie aus Häuptlingen. Nur sie konnten sich ein eigenes Schiff und eine vollständige Ausstattung mit Vieh leisten, einschließlich der geschätzten, schwierig zu haltenden Kühe und der weniger wertvollen, anspruchsloseren Schafe und Ziegen. Zu den Untertanen, Gefolgsleuten und Helfern der Häuptlinge gehörten Sklaven, freie Arbeiter, Lehensbauern und freie Bauern.
    Die Häuptlinge standen untereinander sowohl mit friedlichen Mitteln als auch durch Krieg in ständiger Konkurrenz. Im friedlichen Wettbewerb waren sie bestrebt, einander mit Geschenken und großen Festen zu übertreffen, mit denen sie sich Ansehen verschafften, ihre Gefolgsleute belohnten und Verbündete anlockten. Den dazu notwendigen Reichtum verschafften sie sich durch Handel, Überfälle und die Produktion ihrer eigenen landwirtschaftlichen Anwesen. Aber die Gesellschaft der Wikinger war auch gewalttätig - die Häuptlinge und ihre Anhänger kämpften nicht nur in Übersee gegen andere Völker, sondern auch zu Hause untereinander. Die Unterlegenen in diesen blutigen Konflikten hatten am meisten zu gewinnen, wenn sie ihr Glück in anderen Ländern versuchten. Als der Isländer Erik der Rote beispielsweise nach 980 besiegt und vertrieben wurde, erkundete er Grönland und besiedelte dort mit einer Gruppe seiner Anhänger die besten landwirtschaftlichen Flächen.
    Wichtige Entscheidungen wurden in der Wikingergesellschaft von den Häuptlingen getroffen, und deren Hauptmotiv war die Mehrung des eigenen Ansehens, selbst wenn sie dadurch in Konflikt mit dem Nutzen für die Gesamtgesellschaft oder für die nächste Generation gerieten. Die gleichen Interessenkonflikte sind uns auch im Zusammenhang mit den Häuptlingen auf der Osterinsel und den Mayakönigen (Kapitel 2 und 5) begegnet, und sie hatten auch schwer wiegende Auswirkungen auf das Schicksal der Gesellschaft von Normannisch-Grönland (Kapitel 8).
    Als die Wikinger im 9. Jahrhundert mit ihrer Expansion nach Übersee begannen, waren sie noch »Heiden«: Sie beteten die Götter der traditionellen germanischen Religion an, beispielsweise die Fruchtbarkeitsgöttin Freia, den Himmelsgott Thor und den Kriegsgott Odin. In den europäischen Gesellschaften, die zum Ziel der Wikingerüberfälle wurden, war man vor allem darüber entsetzt, dass die Räuber keine Christen waren und sich nicht an die Tabus einer christlichen Gesellschaft hielten. Ganz im Gegenteil: Es schien, als würde es ihnen eine sadistische Freude bereiten, sich Kirchen und Klöster für ihre Angriffe auszusuchen. Als beispielsweise im Jahr 843 eine große Wikingerflotte plündernd in Frankreich die Loire hinauffuhr, bemächtigten sich die Räuber als Erstes der Kathedrale von Nantes an der Flussmündung, wo sie den Bischof und alle Priester töteten. In Wirklichkeit empfanden die Wikinger keine besondere, sadistische Vorliebe für die Plünderung von Kirchen, und ebenso wenig hegten sie ein Vorurteil gegenüber weltlichen Quellen für Beute. Der ungeschützte Reichtum der Kirchen und Klöster war einfach ein nahe liegendes Ziel, an dem man reiche Ernte machen konnte, ebenso gern griffen die Wikinger aber auch reiche Handelszentren an, wenn sich die Gelegenheit bot.
    Nachdem die Wikinger sich jenseits des Meeres in christlichen Ländern niedergelassen hatten, waren sie durchaus bereit, dort zu heiraten und sich an die örtlichen Sitten anzupassen, zu denen auch das Bekenntnis zum Christentum gehörte. Die Bekehrung von Wikingern in anderen Ländern trug dazu bei, dass das Christentum sich auch zu Hause in Skandinavien durchsetzte: Wenn sie zu Besuch in die Heimat kamen, brachten sie Berichte über die neue Religion mit, bis Häuptlinge und Könige in Skandinavien allmählich erkannten, dass das Christentum ihnen durchaus politische Vorteile verschaffen konnte. Einige skandinavische Häuptlinge nahmen inoffiziell noch vor ihren Königen das Christentum an. Entscheidend für die Verbreitung des Christentums in Skandinavien war die »offizielle«
    Bekehrung Dänemarks unter König Harald Blauzahn um 960, gefolgt von Norwegen ungefähr seit 995 und Schweden im

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