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Kollaps

Kollaps

Titel: Kollaps Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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dem nachfolgenden Kampf kamen viele Indianer ums Leben, bevor sie flüchteten, aber nach diesem Vorfall waren die Wikinger überzeugt, dass sie es hier mit einem dauerhaften Problem zu tun hatten. Der unbekannte Autor der Saga von Erik dem Roten formulierte es so: »Die Partei [der Wikinger] erkannte nun, dass dieses Land dort zwar alles zu bieten hatte, dass sie aber auch ständig durch Angriffe seiner früheren Bewohner bedroht waren. Sie machten sich bereit zur Abfahrt in ihr eigenes Land [das heißt nach Grönland].«
    Nachdem die altnordischen Grönländer also Vinland den Indianern überlassen hatten, suchten sie weiter im Norden die Küste Labradors auf, wo es viel weniger Indianer gab, und holten dort Holz und Eisen. Den greifbaren Beleg für solche Besuche bieten einige altnordische Gegenstände (Stücke aus geschmolzenem Kupfer, geschmolzenes Eisen und gesponnene Ziegenwolle), die man in der kanadischen Arktis an mehreren Ausgrabungsstätten der amerikanischen Ureinwohner gefunden hat. Der bemerkenswerteste Fund ist eine Silbermünze, die zwischen 1065 und 1080 während der Herrschaft König Olaf des Stillen in Norwegen geprägt wurde; man entdeckte sie, als Kettenanhänger durchbohrt, an einer indianischen Ausgrabungsstätte an der Küste von Maine, viele hundert Kilometer südlich von Labrador. An der betreffenden Stelle in Maine hatte sich ein großes Dorf befunden, das als Handelszentrum diente; Steine und Werkzeuge, die dort ausgegraben wurden, stammten aus Labrador sowie aus vielen Teilen von Nova Scotia, Neuengland, New York und Pennsylvania. Vermutlich hatte ein altnordischer Besucher die Münze in Labrador verloren oder eingetauscht, und dann war sie über das Handelsnetz der Indianer nach Maine gelangt.
    Ein weiterer Beleg für spätere Besuche der Wikinger in Labrador findet sich in der isländischen Chronik: Sie berichtet aus dem Lahr 1347 über ein grönländisches Schiff mit einer 18-köpfigen Besatzung, das Island erreichte, nachdem es auf der Rückreise von »Markland« seinen Anker verloren hatte und vom Kurs abgetrieben worden war. Der Bericht in der Chronik ist kurz und sachlich, als sei das Ereignis nichts Ungewöhnliches: »Dieses Jahr lautet die Neuigkeit, dass eines dieser Schiffe, die jeden Sommer nach Markland fahren, seinen Anker verloren hat, und ebenso schüttete Thorunn Ketilsdottir auf ihrem Bauernhof von Djupaladur einen großen Eimer Milch um, und eines der Schafe von Bjorni Bollason ist gestorben, und das war alles, was es in diesem Jahr Neues gab, nur das Übliche.«
    Kurz gesagt, scheiterte die Siedlung von Vinland, weil auch die Kolonie in Grönland zu klein war und zu wenig Holz und Eisen besaß, um sie zu unterstützen: sie war sowohl von Europa als auch von Vinland zu weit entfernt, besaß zu wenig seetüchtige Schiffe und konnte große Erkundungsflotten nicht finanzieren; und eine oder zwei Schiffsmannschaften aus Grönland hatten der Masse der Indianer von Nova Scotia und am Golf des St.-Lorenz-Stromes nichts entgegenzusetzen, wenn sie diese provozierten. In der grönländischen Kolonie lebten um das Jahr 1000 vermutlich nicht mehr als 500 Menschen, sodass die 80 Erwachsenen im Lager von L’Anse aux Meadows bereits eine erhebliche Schwächung der Arbeitskraft in Grönland bedeuteten. Als nach 1500 dann wieder die ersten Europäer nach Nordamerika kamen, erlitten die Versuche einer Besiedlung wiederum eine lange Kette von Rückschlägen, und das, obwohl hinter den Kolonien dieses Mal die reichsten und am dichtesten bevölkerten Staaten Europas standen, die jedes Jahr eine Nachschubflotte schickten, mit Schiffen, die weit größer waren als die der Wikinger und sowohl Feuerwaffen als auch eine Fülle von Eisenwerkzeugen mitführten. In den ersten englischen und französischen Kolonien in Massachusetts, Virginia und Kanada starb etwa die Hälfte der Siedler im ersten Jahr an Hunger oder Krankheiten. Da ist es kein Wunder, dass 500 Grönländer aus dem abgelegensten Außenposten Norwegens, das zu den ärmeren Nationen Europas gehörte, mit der Eroberung und Besiedlung Nordamerikas überfordert waren.
    Die Tatsache, dass die Kolonie in Vinland schon innerhalb von zehn Jahren scheiterte, ist im Zusammenhang dieses Buches vor allem deshalb von Interesse, weil sie einen beschleunigten Vorgeschmack auf den Untergang darstellte, den die Kolonie in Grönland nach 450 Jahren erlebte. Normannisch-Grönland überlebte viel länger als Normannisch-Vinland, denn es war nicht so

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