Kollaps
werden, sondern kommerziell und unter Energieverbrauch; Zugang zu industriell produzierten, modernen Arzneimitteln sowie zu Ärzten und Zahnärzten, die mit großem Aufwand ausgebildet und ausgerüstet wurden; ein Überfluss an Nahrungsmitteln, die in landwirtschaftlicher Intensivproduktion mit Kunstdünger produziert wurden und nicht mit Tierexkrementen oder pflanzlichem Kompost; industrielle weiterverarbeitete Lebensmittel; Fortbewegung nicht mit dem Fahrrad, sondern mit Motorfahrzeugen (am liebsten mit dem eigenen Auto): und Zugang zu vielen weiteren Produkten, die nicht aus der Gegend stammen und zu Fuß zu den Verbrauchern gebracht werden, sondern aus weit entfernten Fabriken, von wo sie mit Motorfahrzeugen herantransportiert werden. Alle mir bekannten Bewohner von Drittweltländern, selbst jene, die teilweise ihre traditionelle Lebensweise beibehalten oder wiederherstellen wollen, schätzen zumindest manche Elemente dieser Lebensform aus den Industrieländern.
Welche Auswirkungen es auf die ganze Welt hat, wenn alle nach der Lebensweise streben, deren sich die Bewohner der Industrieländer heute erfreuen, wird am Beispiel China besonders deutlich. Hier verbindet sich die größte Bevölkerung der Welt mit der am schnellsten wachsenden Wirtschaft. Die Gesamtheit von Produktion und Konsum errechnet sich, wenn man die Bevölkerungszahl mit der Pro-Kopf-Produktion oder dem Pro-Kopf-Verbrauch multipliziert. In China ist diese Gesamtproduktion wegen der gewaltigen Einwohnerzahl schon heute sehr hoch, und das trotz sehr geringer Pro-Kopf-Werte: Der Pro-Kopf-Verbrauch vier wichtiger Industriemetalle beispielsweise (Stahl, Aluminium, Kupfer und Blei) liegt nur bei neun Prozent des Wertes der führenden Industrieländer. Aber China macht auf seinem Weg zu dem Ziel, ein Industrieland zu werden, rasche Fortschritte. Steigt der Pro-Kopf-Verbrauch dort auf das Niveau der heutigen Industrieländer, würden Produktion und Verbrauch der genannten vier Metalle selbst dann, wenn sich sonst nichts ändert - wenn beispielsweise Bevölkerung und Produktion/Verbrauch in allen anderen Ländern unverändert bleiben -, allein durch den Anstieg von Produktion und Verbrauch in China weltweit um 94 Prozent wachsen. Mit anderen Worten: Wenn China den Standard der Industrieländer erreicht, werden sich Ressourcenausbeutung und ökologische Schäden auf der ganzen Welt ungefähr verdoppeln. Dabei ist schon zweifelhaft, ob auch nur die derzeitige Ressourcennutzung und die ökologischen Eingriffe auf lange Sicht haltbar sind. Irgendwo muss es zum Rückgang kommen. Das ist der wichtigste Grund, warum Chinas Probleme automatisch zu Problemen der ganzen Welt werden.
Früher glaubten die politisch Verantwortlichen in China, die Menschen könnten und sollten sich die Natur untertan machen, Umweltschäden seien ein Problem, von dem nur kapitalistische Gesellschaften betroffen sind, und sozialistische Gesellschaften seien dagegen immun. Nachdem die ökologischen Schwierigkeiten heute aber auch in China überall sichtbar werden, haben sie dazugelernt. Der Wandel im Denken begann schon 1972, als China eine Delegation zur ersten Umweltkonferenz der Vereinten Nationen entsandte. Im Jahr 1973 wurde die so genannte Führungsgruppe für Umweltschutz eingerichtet, die sich 1998 (im Jahr der großen Überschwemmungen) in die staatliche Umweltschutzbehörde verwandelte. Im Jahr 1983 wurde der Umweltschutz zum Staatsziel erklärt - jedenfalls theoretisch. In der Praxis jedoch hat man zwar viele Anstrengungen unternommen, um Umweltschäden unter Kontrolle zu bringen, aber die wirtschaftliche Entwicklung genießt nach wie vor Priorität und ist das wichtigste Kriterium für die Leistungsbeurteilung von Regierungsbeamten. Viele Umweltschutzgesetze und -Vorschriften wurden zwar auf dem Papier erlassen, aber nicht wirksam umgesetzt.
Wie könnte Chinas Zukunft aussehen? Die gleiche Frage stellt sich natürlich überall auf der Welt: Ökologische Probleme verschärfen sich, die Entwicklung von Lösungsversuchen beschleunigt sich ebenfalls, aber welches Pferd wird das Rennen gewinnen? In China ist diese Frage von besonderer Dringlichkeit, und zwar nicht nur wegen des bereits erörterten Ausmaßes der Probleme und ihrer Auswirkungen auf die ganze Welt, sondern auch wegen eines Aspekts in der chinesischen Geschichte, den man als »Torkeln« bezeichnen kann (wobei ich den Begriff in dem streng neutralen Sinn eines »plötzlich von einer Seite zur andern schwanken«
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