Kollaps
Verwaltungsstrukturen und ihrer Fähigkeit, Arbeitskräfte und Ressourcen zuzuweisen, dürfte der Umgang mit widrigen ökologischen Bedingungen zu den Dingen gehören, die komplexe Gesellschaften am besten bewältigen. Es erscheint seltsam, dass sie zusammenbrechen sollen, wenn sie ausgerechnet mit den Bedingungen konfrontiert werden, zu deren Bewältigung sie ausgestattet sind. Wenn für die Angehörigen einer komplexen Gesellschaft oder ihre Verwalter erkennbar wird, dass eine grundlegende Ressource zur Neige geht, scheint es die vernünftigste Annahme zu sein, dass rational begründete Schritte zu einer Lösung unternommen werden. Die umgekehrte Annahme - Untätigkeit angesichts der Katastrophe - erscheint so unplausibel, dass wir zu Recht ins Grübeln geraten.«
Tainters Gedankengang veranlasst ihn also zu dem Schluss, eine komplexe Gesellschaft werde wahrscheinlich nicht zulassen, dass es durch fehlerhafte Bewirtschaftung der ökologischen Ressourcen zum Zusammenbruch kommt. Alle in diesem Buch erörterten Fälle zeigen aber sehr deutlich, dass ein solches Versagen immer wieder vorgekommen ist. Wie konnten so viele Gesellschaften derart schwer wiegende Fehler begehen?
Meine Studienanfänger an der UCLA und auch Joseph Tainter stießen auf ein verblüffendes Phänomen: Das Versagen der Entscheidungsprozesse in ganzen Gesellschaften oder gesellschaftlichen Gruppen. Dieses Problem steht natürlich im Zusammenhang mit dem Versagen individueller Entscheidungsprozesse. Auch Einzelpersonen treffen Entscheidungen: Sie lassen sich auf eine schlechte Ehe ein, legen ihr Geld schlecht an, entscheiden sich für den falschen Beruf, scheitern mit ihren Firmen und so weiter. Wenn Gruppen falsche Entscheidungen treffen, kommen jedoch einige weitere Faktoren hinzu, beispielsweise Interessenkonflikte zwischen den Mitgliedern der Gruppe und die Gruppendynamik. Wie man leicht erkennt, haben wir es hier mit einem komplizierten Thema zu tun, bei dem es keine einfache, auf alle Situationen passende Lösung gibt.
Ich möchte stattdessen eine Reihe von Faktoren benennen, die in Gruppen zu fehlerhaften Entscheidungen beitragen. Diese Faktoren werde ich in vier unscharf abgegrenzte Kategorien einteilen. Erstens sieht eine Gruppe ein Problem unter Umständen nicht voraus, bevor es tatsächlich da ist. Zweitens nimmt die Gruppe das Problem unter Umständen nicht wahr, wenn es bereits eingetreten ist. Nachdem sie es dann wahrgenommen hat, versucht sie drittens unter Umständen nicht einmal, eine Lösung zu finden. Und wenn sie es schließlich zu lösen versucht, gelingt dies unter Umständen nicht. Die nun folgende Erörterung der Gründe für falsche Entscheidungen und Gesellschaftszusammenbrüche mag deprimierend erscheinen, sie hat aber eine ermutigende Kehrseite: Entscheidungen können auch erfolgreich sein. Wenn wir verstehen, warum Gruppen so häufig falsche Entscheidungen treffen, können wir vor dem Hintergrund dieses Wissens möglicherweise Kriterien aufstellen und diese als Leitfaden für gute Entscheidungen nutzen.
Die erste Station auf meinem Weg ist die Erkenntnis, dass Gruppen unter Umständen katastrophale Handlungen begehen, weil sie ein Problem nicht voraussehen, bevor es sich tatsächlich eingestellt hat. Das kann mehrere Gründe haben. Unter Umständen hat die Gruppe mit dem betreffenden Problem noch keine Erfahrungen, sodass sie dafür nicht sensibilisiert ist.
Ein Musterbeispiel für dieses Prinzip ist das Chaos, das britische Siedler sich selbst bescherten, als sie im 19. Jahrhundert Füchse und Kaninchen aus Großbritannien nach Australien brachten. Beide gelten heute als katastrophale Beispiele dafür, wie eingeschleppte Arten sich in einer Umwelt auswirken können, zu der sie ursprünglich nicht gehören (Einzelheiten in Kapitel 13). Besonders tragisch ist der Fall, weil sie - anders als viele schädliche Unkräuter - nicht unabsichtlich in Form winziger Samenkörner eingeschleppt wurden, die man in einem Heutransport übersehen hatte, sondern absichtlich und erst nach großen Anstrengungen. Im weiteren Verlauf rotteten die Füchse viele einheimische australische Säugetierarten aus, die in ihrer Evolution keine Erfahrung mit solchen natürlichen Feinden gesammelt hatten, und Kaninchen verzehrten einen großen Teil der Pflanzen, die als Futter für Schafe und Rinder vorgesehen waren, gewannen in der Konkurrenz gegenüber einheimischen Pflanzenfressern die Oberhand und schädigten den Boden mit ihren Bauten.
Aus
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