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Kollaps

Kollaps

Titel: Kollaps Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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wenn man diese beseitigt, sind auch die Nährstoffe nicht mehr vorhanden. In Australien und auf Mangareva konnten die ersten Siedler nicht erkennen, dass die Nährstoffe im Boden erschöpft waren; die Bauern in Gebieten, wo tiefere Bodenschichten viel Salz enthielten (beispielsweise im Osten von Montana sowie in Teilen Australiens und Mesopotamiens), konnten nichts von der beginnenden Versalzung wissen, und die Bergleute konnten beim Abbau von Schwefelerzen nicht erkennen, dass die Abwässer ihrer Minen giftiges Kupfer und gelöste Säure enthielten.
    Haufig wird ein Problem auch deshalb nicht wahrgenommen, weil die Verantwortlichen zu weit entfernt sind, eine Ursache, die in großen Gesellschaften oder Unternehmen von Bedeutung ist. Der größte private Landbesitzer in Montana zum Beispiel, ein Holzkonzern, hat seinen Hauptsitz nicht in dem Bundesstaat, sondern 650 Kilometer entfernt in Seattle (Washington). Da die Manager nicht vor Ort sind, ist ihnen unter Umständen nicht klar, dass das Unkraut in ihrem Waldbesitz ein großes Problem darstellt. Gut geführte Unternehmen vermeiden solche Überraschungen, indem sie regelmäßig Manager ins Feld schicken, damit sie sich ansehen, was dort wirklich los ist. Das Gegenteil zu den Fehlern weit entfernter Manager sind die Erfolge durch Verantwortliche vor Ort. Dass die Bewohner Tikopias auf ihrer winzigen Insel und die Hochlandbewohner in Neuguinea in ihren Tälern seit über 1000 Jahren erfolgreiches Ressourcenmanagement betreiben können, liegt unter anderem daran, dass jeder Einzelne auf der Insel oder in dem Tal das gesamte Gelände, von dem die Gesellschaft abhängig ist, genau kennt.
    Vielleicht am häufigsten kommt es vor, dass eine Gesellschaft ein Problem nicht wahrnimmt, wenn dieses die Form eines allmählichen Trends annimmt, der sich hinter starken Schwankungen verbirgt. Das wichtigste Beispiel aus unserer Zeit ist die globale Erwärmung. Heute wissen wir, dass die weltweiten Temperaturen in den letzten Jahrzehnten langsam angestiegen sind und dass Veränderungen der Atmosphäre, die von Menschen verursacht wurden, dabei die wichtigste Ursache darstellen. Das Klima war aber nicht jedes Jahr genau um 0,01 Grad wärmer als im Jahr zuvor. Wie wir alle wissen, schwankt das Klima unregelmäßig von Jahr zu Jahr: Der eine Sommer ist um drei Grad wärmer als der vorherige, der nächste legt noch einmal um vier Grad zu, dann geht es um zwei Grad nach unten, wieder vier Grad nach oben, ein Grad nach unten, fünf Grad nach oben, und so weiter. Bei derart großen, unvorhersehbaren Schwankungen dauerte es sehr lange, bis man den durchschnittlichen Aufwärtstrend von 0,01 Grad pro Jahr erkannte. Das war der Grund, warum die meisten professionellen Klimaforscher, die dem Gedanken an eine globale Erwärmung zuvor skeptisch gegenüberstanden, sich erst vor wenigen Jahren überzeugen ließen. Während ich diese Zeilen schreibe, ist der amerikanische Präsident G. W. Bush immer noch nicht überzeugt, dass es die globale Erwärmung wirklich gibt; er glaubt nach wie vor, es sei noch mehr Forschung erforderlich. Ähnlich schwierig war auch für die mittelalterlichen Bewohner Grönlands die Erkenntnis, dass ihr Klima sich allmählich abkühlte, und Maya und Anasazi konnten kaum erkennen, dass es bei ihnen immer trockener wurde.
    Politiker bezeichnen solche allmählichen, hinter starken Schwankungen verborgenen Trends häufig als »schleichende Normalität«. Wenn es mit Wirtschaft, Schulen, Verkehrssituation oder irgendetwas anderem nur langsam bergab geht, erkennt man kaum, dass jedes Jahr im Durchschnitt ein wenig schlechter ist als das vorherige, und damit sinkt auch der allgemeine Maßstab für »Normalität« ganz allmählich und unmerklich ab. Erst nach einigen Jahrzehnten und einer langen Reihe solcher geringfügigen alljährlichen Veränderungen wird plötzlich mit einem Schlag klar, dass vor einigen Jahrzehnten alles viel besser war und dass das so genannte Normalniveau gesunken ist.
    Ein anderer Begriff, der mit der schleichenden Normalität zusammenhängt, ist die »Landschaftsvergesslichkeit«: Man hat vergessen, dass die Landschaft vor 50 Jahren ganz anders aussah, weil von Jahr zu Jahr nur ein ganz geringfügiger Wandel eingetreten ist. Ein Beispiel sind die Gletscher und Schneefelder in Montana, die durch die globale Erwärmung abschmelzen (Kapitel 1). Nachdem ich als junger Mann im Sommer 1953 und 1956 im Big Hole Basin in Montana war, kam ich erst 42 Jahre später

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