Kollaps
acht Metern Breite, die sich nach Norden, Süden und Westen ungefähr 15 Kilometer weit bis zu den Küsten der Insel erstrecken. An der Straße verteilen sich 97 weitere Statuen, als hätte man sie aus dem Steinbruch abtransportiert und dann liegen gelassen. Entlang der Küste und auch an einigen Stellen landeinwärts befinden sich rund 300 steinerne Plattformen, von denen ein Drittel früher weitere 393 Statuen trug oder mit ihnen verbunden war; alle diese Statuen standen bis vor wenigen Jahrzehnten nicht aufrecht, sondern waren umgeworfen, und viele von ihnen hatte man so umgestürzt, dass ihnen damit gezielt der Hals gebrochen wurde.
Vom Kraterrand konnte ich Ahu Tongariki sehen, die am nächsten gelegene, größte Plattform. Hier lagen 15 umgestürzte Statuen, die der Archäologe Claudio Cristino 1994 mit Hilfe eines Kranes, der 55 Tonnen heben konnte, wieder aufrichtete. Wie er mir erzählte, erwies sich dies auch mit modernen Maschinen als schwierige Aufgabe, denn die größte Statue von Ahu Tongariki wog 88 Tonnen. Die prähistorische polynesische Bevölkerung der Osterinsel besaß aber keine Kräne, keine Räder, keine Maschinen, keine Werkzeuge aus Metall, keine Zugtiere und auch sonst keine Hilfsmittel außer der Muskelkraft von Menschen, um die Statuen zu transportieren und aufzurichten.
Die Statuen, die noch im Steinbruch verblieben sind, befinden sich in allen möglichen Stadien der Fertigstellung. Manche sind noch mit dem Muttergestein verbunden, aus dem sie herausgehauen wurden; sie sind « schon als Figuren zu erkennen, wobei aber die Details von Ohren oder Händen noch fehlen. Andere sind fertig, wurden bereits von den Felsen gelöst und liegen an der Böschung des Kraters neben der Nische, aus der sie herausgehauen wurden. Wieder andere wurden im Krater aufgerichtet. Auf mich wirkte der Steinbruch vor allem deshalb so gespenstisch, weil ich das Gefühl hatte, mich in einer Fabrik zu befinden, deren Arbeiter plötzlich auf rätselhafte Weise verschwunden waren - es war, als hätten sie ihr Werkzeug fallen lassen und seien hinausgelaufen, wobei sie die einzelnen Statuen in beliebigem Zustand zurückließen. Auf dem Boden des Steinbruches verstreut liegen die steinernen Pickel, Bohrer und Hämmer, mit denen die Statuen bearbeitet wurden. Rund um jede Statue befindet sich im Fels noch der Graben, in dem die Steinmetze standen. An der Felswand erkennt man steinerne Vorsprünge, an denen die Arbeiter vermutlich die Säcke aufhängten, die ihnen als Trinkflaschen dienten. An manchen Statuen in dem Krater erkennt man, dass sie absichtlich zerbrochen oder ihrer Gesichter beraubt wurden, als hätten rivalisierende Gruppen von Steinmetzen gegenseitig ihre Produkte zerstört. Unter einer Statue fand man einen menschlichen Fingerknochen, vermutlich eine Folge der Unachtsamkeit eines Mannes aus der Transportmannschaft. Wer stellte die Statuen her, warum wurden sie mit solcher Mühe aus dem Stein gehauen, wie konnten die Steinmetzen derart riesige Blöcke bewegen und aufrichten, und warum wurden sie am Ende alle umgeworfen?
Die vielen Rätsel der Osterinsel waren schon für den ersten europäischen Entdecker, den niederländischen Seefahrer Jacob Roggeveen, nicht zu übersehen. Er machte die Insel am Ostersonntag, dem 5. April 1722 aus - daher der Name, der sich seitdem erhalten hat. Als Seemann, der zuvor mit drei großen europäischen Schiffen 17 Tage lang ohne jede Landsichtung von Chile über den Pazifik gesegelt war, musste Roggeveen sich fragen: Wie würden die Polynesier ihn begrüßen, wenn er an der Küste ihrer abgelegenen Insel landete? Heute wissen wir, dass die Reise von der Osterinsel zur nächstgelegenen polynesischen Insel im Westen noch einmal mindestens ebenso viele Tage in Anspruch genommen hätte. Aber zu ihrer Verwunderung stellten Roggeveen und spätere europäische Besucher fest, dass die Inselbewohner nur über undichte Kanus als einzige Wasserfahrzeuge verfügten; die Boote waren nicht länger als drei Meter und konnten einen, höchstens zwei Menschen aufnehmen. Roggeveen schrieb: »Was ihre Boote betrifft, so sind diese im Hinblick auf die Verwendbarkeit schlecht und zerbrechlich, denn ihre Kanus werden aus vielfältigen kleinen Planken und innen aus leichten Holzbalken zusammengesetzt, und diese werden sehr klug mit fein gesponnenen Fäden zusammengehalten, welche man aus der zuvor benannten Feldpflanze gewinnt. Aber da ihnen die Kenntnisse und insbesondere das Material fehlen, um die
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