Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kollaps

Kollaps

Titel: Kollaps Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
Vom Netzwerk:
rivalisierenden Sippen immer wieder gestohlen wurden. Vor vielen hare paenga befand sich eine steingepflasterte Terrasse. Die hare paenga wurden in einem 200 Meter breiten Streifen entlang der Küste erbaut; an jedem wichtigen Ort befanden sich sechs bis zehn von ihnen, und unmittelbar daneben, auf der zum Meer gewandten Seite, lag die Plattform dieses Ortes mit den Statuen. Die Häuser der einfachen Leute dagegen wurden an Stellen weiter landeinwärts verbannt; sie waren kleiner und besaßen jeweils ein eigenes Hühnerhaus, einen Ofen, einen Kreis von Steingärten und eine Abfallgrube - es waren Zweckbauten, die das religiöse Tabu in dem Küstenbereich mit den Plattformen und den schönen hare paenga verbot.
    Sowohl die mündliche Überlieferung der Inselbewohner als auch die archäologischen Befunde lassen darauf schließen, dass die Osterinsel in ungefähr ein Dutzend (elf oder zwölf) Territorien unterteilt war, die jeweils einer Sippe oder Familie gehörten; sie erstreckten sich jeweils von der Küste ins Landesinnere, sodass die Insel wie ein Kuchen in ein Dutzend keilförmige Stücke aufgeteilt war. Jedes Territorium hatte seinen eigenen Häuptling und große zeremonielle Plattformen, auf denen Statuen standen. Die Sippen versuchten zunächst im friedlichen Wettbewerb, einander im Bau von Plattformen und Statuen zu übertreffen, aber irgendwann nahm ihre Konkurrenz die Form erbitterter Kämpfe an. Die Unterteilung in sternförmig angeordnete Territorien ist auch für andere Pazifikinseln typisch. Dennoch ist die Osterinsel in dieser Hinsicht ungewöhnlich: Wiederum sprechen sowohl die mündliche Überlieferung als auch die Befunde der Archäologen dafür, dass die konkurrierenden Familienreviere religiös sowie in einem gewissen Umfang auch wirtschaftlich und politisch unter der Führung eines Oberhäuptlings zusammenhielten. Auf Mangareva und den größeren Marquesas-Inseln dagegen war jedes größere Tal ein unabhängiges Reich, das sich mit anderen derartigen Reichen in einem chronischen, aggressiven Kriegszustand befand.
    Was könnten die Ursachen für diesen Zusammenhalt auf der Osterinsel sein, und wie konnte man ihn archäologisch nachweisen? Wie sich herausstellte, besteht der Kuchen der Osterinsel nicht aus einem Dutzend gleichwertiger Stücke, sondern die einzelnen Territorien waren mit unterschiedlichen, wertvollen Ressourcen ausgestattet. Am deutlichsten wird dies am Beispiel des Tongariki-Territoriums (das Hotu Iti genannt wurde): Auf seinem Gebiet liegt der Krater Rano Raraku, auf der ganzen Insel die einzige Quelle für das beste Gestein zur Herstellung der Statuen und auch eine Quelle für Moos, mit dem man die Kanus abdichten konnte. Die roten Steinzylinder auf der Oberseite mancher Statuen stammen ausnahmslos vom Steinbruch Puna Pau im Territorium Hanga Poukura. Die Territorien Vinapu und Hanga Poukura kontrollierten die drei wichtigsten Steinbrüche für Obsidian, das feinkörnige Vulkangestein, aus dem man scharfe Werkzeuge herstellte, Vinapu und Tongariki besaßen den besten Basalt für die Fundamente der hare paenga. Anakena an der Nordküste verfügte über die beiden besten Strände, wenn man Kanus zu Wasser lassen wollte, und Heki’i, sein Nachbar an der gleichen Küste, besaß den drittbesten Strand. Deshalb hat man Werkzeuge, die mit Fischerei zu tun haben, vorwiegend an dieser Küste gefunden. Aber gleichzeitig eignete sich das Land an der Nordküste am schlechtesten für die Landwirtschaft - die besten Regionen für diesen Zweck lagen an den Küsten im Süden und Westen. Nur fünf der zwölf Territorien verfügten über größere hoch gelegene Gebiete im Landesinneren, die man für Steingartenplantagen nutzen konnte. Die Nistgebiete der Seevögel beschränkten sich am Ende praktisch ausschließlich auf wenige kleine Inseln vor der Südküste, insbesondere im Territorium Vinapu. Auch andere Ressourcen, beispielsweise Bauholz, Korallen zur Herstellung von Feilen, roter Ocker und Papiermaulbeerbäume (aus deren Rinde man die Tapa-Stoffe herstellte) waren ungleichmäßig verteilt.
    Den eindeutigsten archäologischen Beleg für einen gewissen Zusammenhalt zwischen den konkurrierenden Sippen der einzelnen Territorien liefern die Steinstatuen: Sie stammen von einem Steinbruch im Territorium Tongariki, die roten Zylinder stammen aus Hanga Poukura, aber beide findet man auf den Plattformen in allen elf oder zwölf Territorien der gesamten Insel. Die Straßen, auf denen die Statuen und

Weitere Kostenlose Bücher