Kolumbus' Erbe: Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen (German Edition)
aestivum
nach Texas gebracht und von dort habe es sich den Mississippi aufwärts ausgebreitet. [553] Wenn das stimmt, stammt ein großer oder der größte Teil des Weizens, der den Mittleren Westen im 19 . Jahrhundert zur Kornkammer Nordamerikas werden ließ, vom Acker neben einer kleinen afrikanischen Straßenkapelle in Mexico City. [554]
Als er Cortés’ Weizen pflanzte, handelte Garrido als Agent des kolumbischen Austauschs. Aber wichtiger noch, er war selbst ein Teil des Austauschs, genauso wie Cortés und die anderen Fremden.
Oben habe ich beschrieben, wie sich die wissenschaftliche Auffassung des kolumbischen Austauschs allmählich entwickelte. Zunächst betrachtete ich den Atlantik (Kapitel 2 und 3 ), wo die wichtigsten Auswirkungen auf den amerikanischen Kontinent aus mikroskopisch kleinen Importen resultieren: zunächst die Krankheiten, die die indigenen Gesellschaften dezimierten, danach Malaria und Gelbfieber, die die Sklavenhaltung auf den Plantagen förderten. Dann habe ich mich dem Pazifik (Kapitel 4 und 5 ) und der Bedeutung der amerikanischen Nahrungspflanzen zugewandt, die einerseits eine Bevölkerungsexplosion ermöglichten und andererseits indirekt Umweltprobleme erheblichen Ausmaßes zur Folge hatten. In dem darauffolgenden Abschnitt (Kapitel 6 und 7 ) legte ich dar, dass Umwelthistoriker zunehmend die Auffassung vertreten, der kolumbische Austausch spiele auch eine Rolle bei der landwirtschaftlichen Revolution des 18 . und der industriellen Revolution des 19 . Jahrhunderts. Beide traten zunächst in Europa auf, daher hatte dieses ökologische Phänomen weitreichende politische und wirtschaftliche Auswirkungen – und beide trugen zum Aufstieg des Westens bei. Diese ganze Erörterung scheint sich darauf zu stützen, dass die Menschheit die Regie dabei übernommen hat, andere Arten zu verbreiten, wenngleich sie manchmal auch von den Ergebnissen überrascht wurde. Doch für Biologen ist
Homo sapiens
eine Art, die wie jede andere eine bestimmte Verbreitung und Reichweite hat. Die Menschen haben den kolumbischen Austausch nicht nur in Gang gesetzt, sondern sind seinen Strömungen auch ausgeliefert gewesen – was zu einer Umwälzung innerhalb unserer Art führte, die Thema dieses Abschnitts ist.
Jahrtausendelang befanden sich fast alle Europäer in Europa, nur wenige Afrikaner außerhalb Afrikas und Asiaten fast ausnahmslos in Asien. Bis zum Jahr 1492 hat, soweit bekannt, kein Bewohner der östlichen Hemisphäre jemals einen Einwohner Amerikas zu Gesicht bekommen. Auch wenn einige Forscher glauben, dass englische Fischer schon einige Jahrzehnte vor Colón den Atlantik überquert hätten, würde das nichts an der grundsätzlichen Aussage ändern, dass es keine Gemeinschaften von Europäern oder Afrikanern in Asien oder Amerika gab. Colóns Reise war der Beginn einer nie dagewesenen genetischen Mischung des
Homo sapiens
: der menschliche Aspekt des kolumbischen Austauschs. Die Menschen schossen auf dem Globus herum wie Würfel auf einem Spieltisch. Europäer stellten die Mehrheit in Argentinien und Australien, Afrikaner gab es von São Paulo bis Seattle, und Chinatowns entstanden überall auf der Erde. [555]
Diese Veränderungen wurden vom afrikanischen Sklavenhandel dominiert – sozusagen von Garrido und nicht von Cortés. Lange Zeit hat man das Ausmaß der Sklaverei auf dem amerikanischen Kontinent nur unvollständig erfasst. Der erste systematische Versuch einer Zählung – Philip Curtins
The Atlantic Slave Trade: A Census
– erschien erst 1969 , mehr als hundert Jahre nach der Beendigung ihres Gegenstands. Nicht zuletzt durch Curtins Studie angeregt, organisierten David Eltis und Martin Halbert von der Emory University in Atlanta ein bemerkenswertes Forschungsprojekt: Wissenschaftler aus einem Dutzend Länder gaben ihre Untersuchungsergebnisse in eine Online-Datenbank ein, die nunmehr fast 35 000 einzelne Sklaventransporte dokumentiert. Nach ihrem Stand von 2009 , als die letzten Zahlen ins Netz gestellt wurden, ist davon auszugehen, dass zwischen 1500 und 1840 , als der Sklavenhandel seinen Höhepunkt hatte, 11 , 7 Millionen gefangene Afrikaner nach Amerika verschifft wurden – ein gigantischer Menschenhandel von nie dagewesenem Umfang. In dieser Zeit sind vielleicht 3 , 4 Millionen Europäer emigriert. Grob gerechnet, kamen auf jeden Europäer, der nach Amerika auswanderte, drei Afrikaner, die zu dieser Reise gezwungen wurden.
Was aus diesen Zahlen folgt, ist fast
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