Kolumbus' Erbe: Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen (German Edition)
typischer Bürger dieser Stadt.
Er hatte eine Frau, sicherlich indigen, sicherlich – mehr oder weniger freiwillig – zum Christentum konvertiert, und drei Kinder, ein Haus in gehobener innerstädtischer Lage und die Gewissheit, an einem entscheidenden geschichtlichen Ereignis teilgenommen zu haben. Trotzdem war er ein enttäuschter, unzufriedener Mann. 1538 , als er vermutlich in seinen Fünfzigern war, reichte er eine Petition bei Hofe ein, in der er den König bat, «mich zu entschädigen für meine Dienste und die geringen Vergünstigungen, die Ihrer Majestät Statthalter mir, der der Krone so treu gedient hat, erwiesen haben». Offenbar verhallte seine Bitte ungehört. Es verrät einiges über die chaotischen Verhältnisse der Zeit und des Ortes, dass diese bemerkenswerte Figur – ein Sklave, der zum Konquistador wurde, ein Afrikaner, der zum Vertrauten von Cortés aufstieg, ein als Muslim geborener Christ, der eine indigen geborene Christin heiratete – so einfach in der Versenkung verschwinden konnte. Die Bittschrift ist die letzte Spur seines Lebens, die sich finden lässt. Laut Alegría, Garridos Biographen, starb er vermutlich im Laufe der folgenden zehn Jahre, vergessen im Tumult und Durcheinander der neuen Welt, zu deren Entstehung er beigetragen hatte. [558]
Schlechte Anfänge
Man darf wohl mit Recht sagen, dass die Planer des Krieges sich nicht auf seine Folgen vorbereitet hatten. Die Wissenschaft streitet zwar über die Ursprünge des Feldzugs, aber sein Ziel war eindeutig die Vertreibung eines vorderasiatischen Diktators, den viele westliche Politiker für eine Bedrohung der zivilisierten Welt hielten. Nach einer Reihe leidenschaftlicher Reden bildeten sie eine multinationale Streitmacht, die auf die alte Stadt, das Hauptziel ihrer militärischen Operation, vorrückte. Nach einer überraschend kurzen Schlacht errangen die alliierten Streitkräfte den Sieg. Leider hatten sie sich keine Gedanken über die nächsten Schritte gemacht. Die militärische Führung der Koalition erklärte die Mission lediglich für beendet und machte sich auf den Heimweg. Nur eine kleine Besatzungsmacht blieb zurück, die sich einer wachsenden Zahl von muslimischen Aufständischen in den ländlichen Regionen gegenübersah. [559]
Die Rede ist vom Ersten Kreuzzug im Jahr 1096 . Gottfried von Bouillon, zum Herrscher über das neu eroberte Jerusalem berufen, musste sich irgendwie Nahrungsmittel beschaffen für sein verbliebenes Heer, die Schar von Mönchen, Priestern, Hilfspriestern und Bischöfen, die es begleitet hatten, für die als Kanonenfutter dienenden Pilger, die sich den religiösen Führern angeschlossen hatten, und die venezianischen Kaufleute, die unschätzbare logistische Hilfe geleistet hatten. Aus Sicht der Kreuzfahrer war die naheliegende Antwort, den muslimischen Besitz zu beschlagnahmen. So wurden ganze Stadtviertel und sogar Städte von Europäern vereinnahmt; beispielsweise eignete sich Venedig den Hafen Tyros an, und der Malteserorden – wie er heute heißt – beanspruchte ein Fünftel von Jerusalem. Auf dem Land requirierten die Kreuzfahrer alles in allem mehr als zweihundert große Güter, auf denen Oliven, Wein, Apfelsinen, Datteln, Feigen, Weizen und Gerste angebaut wurden. Auf lange Sicht von besonderer Bedeutung war jedoch ein klebriges körniges Produkt, das die neuen Herren der Bauern noch nie gesehen hatten:
al-zucar,
wie die Einheimischen es nannten, oder Zucker. [560]
Zuckerrohr wurde erstmals vor rund 10 000 Jahren in Neuguinea angebaut. Bis zur Hälfte des Gewichts besteht die Pflanze aus Saccharose, einer kristallinen weißen Substanz, die bei Normalverbrauchern als «Haushaltszucker» und bei Wissenschaftlern als C 12 H 22 O 11 bekannt ist. Im Wortschatz des Chemikers bezeichnet das Wort «Zucker» einige Dutzend Kohlehydrate mit ähnlichen chemischen Strukturen und Eigenschaften. Saccharose gehört zu den einfachen Mitgliedern der Gruppe: ein Glucosemolekül – die Zuckerart, die die meisten tierischen Organismen mit Energie versorgt – verbunden mit einem Molekül Fruktose, dem wichtigsten Zucker in Honig und Obstsaft. Kulturell, historisch, psychologisch und vielleicht sogar genetisch betrachtet, ist Saccharose jedoch alles andere als einfach. Eine Schwäche für Süßigkeiten scheint im Gegensatz zu den Vorlieben für Salz und Gewürze in allen Kulturen und Regionen vorhanden zu sein – so untrennbar mit der Natur des Menschen verbunden wie die Suche nach Liebe oder
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