Kolumbus' Erbe: Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen (German Edition)
eines Hafens oder einer Fernstraße und verfügen über industrielle Produktionsstätten und einen umfangreichen Personalbestand.
Zucker ist das Plantagenprodukt schlechthin. Mag der Pflanzer auch noch so zuckersüchtig sein, er kann nicht seine ganze Ernte verzehren; einen Teil muss er immer verkaufen. In raffinierter Form kann Zucker leicht verpackt und über weite Strecken verschickt werden. Es gibt immer einen Markt im Ausland: Der Menschheit Gier nach Süße lässt sich überhaupt nicht überschätzen. Das größte Problem ist das Personal: Ohne Arbeiter bleiben Felder, Mühlen und Siedepfannen ungenutzt. Um diese Situation zu vermeiden, müssen Plantagenbesitzer für eine ausreichende Versorgung mit Arbeitskräften sorgen. In einer umfangreichen Studie aus dem Jahr 2008 hat der Historiker Mohamed Ouerfelli von der Universität der Provence gezeigt, dass die muslimischen Zuckerproduzenten ihre Arbeiter auf den Plantagen hielten, indem sie ihnen relativ hohe Löhne zahlten. Anfangs wählten europäische Pflanzer die gleiche Strategie – so kamen, wie Ouerfelli zeigte, die Menschen aus anderen Teilen Europas nach Sizilien, um dort auf den Zuckerplantagen zu arbeiten. Doch im Laufe der Zeit setzte bei Europas Zuckerproduzenten ein Umdenken ein. [566]
Auf späteren Feldzügen unter dem Banner der Kirche eigneten sich europäische Christen die Zuckerplantagen auf Zypern, Kreta, Sizilien und Mallorca sowie in Südspanien von ihren muslimischen und byzantinischen Besitzern an; spätere muslimische Eroberer holten sich einige wieder zurück. Doch egal, wie viel Zucker produziert wurde, die Europäer wollten mehr. Schließlich gab es im Mittelmeerraum keine weiteren warmen und feuchten Regionen, die sich für den Anbau von Zucker geeignet hätten. Portugal konzentrierte sich auf überseeische Gebiete, die atlantischen Inselketten: Madeira, die Azoren, die Kapverdischen Inseln, São Tomé (Sankt Thomas) und Príncipe. Spanien wich auf eine andere Inselgruppe aus, die Kanaren.
Madeira war das erste und in gewisser Hinsicht das wichtigste neu erschlossene Anbaugebiet. Es ließ den Präzedenzfall und das Muster entstehen. Rund tausend Kilometer vor der marokkanischen Küste gelegen, besteht der Archipel aus mehr als einem Dutzend Inseln, darunter zwei großen: Porto Santo und Madeira selbst. Beide sind die Gipfel erloschener Vulkane, aber Porto Santo ist flach und von Stränden umgeben, während Madeira hoch und ringsum von schroffen Klippen gesäumt ist.
Beide Inseln waren unbewohnt, bis sie 1420 von einer Expedition besucht wurden, die zwei Edelleute des portugiesischen Hofes und der in Lissabon lebende Seefahrer Bartolomeu Perestrello leiteten. Zwei Jahrzehnte nach seinem Tod wurde Perestrello eine Fußnote der Geschichte: Seine Tochter heiratete Colón, der auf den Inseln gelebt und möglicherweise die privaten Seekarten ihres Vaters geerbt hat. [567] Zu seinen Lebzeiten kannte man Perestrello vor allem als den Mann, der die Kaninchen nach Madeira gebracht hatte – oder, um genau zu sein, nach Porto Santo, wo die Expedition zuerst an Land ging. In Perestrellos Gepäck befand sich ein Kaninchenweibchen, das an Bord des Schiffes Junge bekommen hatte. An Land ließ er Mutter und Junge frei, vermutlich in der Absicht, sie später zu jagen und zu verspeisen. Zum Entsetzen der Kolonisten «vermehrten sich die Tiere dergestalt, dass sie sich überall ausbreiteten», schrieb Gomes Eanes de Zurara, Portugals königlicher Archivar im Jahr 1453 . Nach Kaninchenart fraßen sie alles, was ihnen unterkam, auch die Pflanzen in den Gärten der Kolonisten. Die Portugiesen «töteten eine große Zahl dieser Kaninchen», berichtete Zurara, aber «sie wurden nicht weniger … unsere Männer konnten nichts säen, was nicht von ihnen vernichtet worden wäre». Durch die eigene Fahrlässigkeit von Porto Santo vertrieben, zog sich die Expedition auf die Insel Madeira zurück. [568]
Diese ökologische Parabel ist so herrlich, dass man natürlich an ihrem Wahrheitsgehalt zweifelt. Doch Zurara, der im Allgemeinen als zuverlässiger Chronist gilt, hat die Insel besichtigt; zu der Zeit, als er schrieb, waren die Kaninchen dort noch immer eine Plage. Glaubhaft wird die Geschichte auch dadurch, dass etwas Ähnliches passierte, nachdem die Spanier sich die Kanarischen Inseln angeeignet hatten. Die Kolonisten brachten Esel nach Fuerteventura, der zweitgrößten Insel der Gruppe. Wie nicht anders zu erwarten, entkamen die Tiere. Bald
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