Kolumbus' Erbe: Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen (German Edition)
Sklavenhalter am Ende das Recht gehabt hätten, von ihren Sklaven Geld und keine Arbeit zu fordern – und zwar lediglich innerhalb eines festgelegten Zeitraums. [572]
Auf Madeira wurde die iberische Sklavenhaltung verändert. Zwar hatten die meisten Europäer dort nur wenig Land und konnten sich Leibeigene gar nicht leisten. Selbst diejenigen, die Sklaven kauften, hatten selten mehr als zwei oder drei und bauten oft nicht mal Zuckerrohr an. Ursprünglich kamen die Sklaven auch nicht vom Golf von Guinea an der Westküste Zentralafrikas, der Herkunft der weit überwiegenden Mehrheit der Sklaven auf dem amerikanischen Kontinent. Stattdessen waren die ersten gefangenen Arbeiter eine unglückliche, bunt zusammengewürfelte Schar von Sträflingen, Guanchen – den Ureinwohnern der Kanarischen Inseln –, Berbern, die in langjähriger Feindschaft mit den Portugiesen lebten, und wahrscheinlich
conversos
, iberischen Juden und Muslimen, die mehr oder weniger unfreiwillig zum Christentum übergetreten waren und von vielen Portugiesen und Spaniern als potenzielle Verräter angesehen wurden. Trotzdem kam es auf Madeira – wie flüchtig auch immer – zur ersten Verbindung zwischen Plantagenkultur und Sklavenhaltung. Im Laufe der Zeit, sagt Vieira, seien die Sträflinge, Guanchen, Berber und
conversos
von Sklaven aus dem Westen Zentralafrikas ersetzt worden. Afrikaner bauten das Zuckerrohr an und verarbeiteten es, ihre Zahl stieg und fiel mit dem wirtschaftlichen Schicksal der Zuckerindustrie. Allmählich entstand die schreckliche Welt der Plantagensklaverei. Laut Vieira war Madeira ihr «sozialer, politischer und wirtschaftlicher Ausgangspunkt». [573]
Zuckermühlen waren voller Rauch und Dampf und wurden von einer Vielzahl von Arbeitern betrieben, wie dieser Stich einer sizilianischen Mühle um 1600 zeigt (nach einem Gemälde von Jan van der Straet, einem flämischen Maler, der in Florenz wirkte).
Allerdings fehlten zwei Schlüsselelemente: die Organismen, die für die Übertragung von Malaria und Gelbfieber verantwortlich sind. Auf São Tomé und Príncipe, zwei Inseln im Golf von Guinea, die 1486 an Portugal fielen, gab es sie in Hülle und Fülle. Wie Madeira waren die beiden Inseln unbewohnt und dicht bewaldet, sie boten warmes Klima, guten Vulkanboden und viel Wasser – ideal für die Produktion von C 12 H 22 O 11 . Wie Madeira wurden sie von unternehmerisch gesinnten Angehörigen des niederen Adels in Besitz genommen, die hofften, von der Naschhaftigkeit Europas profitieren zu können. Anders als auf Madeira wimmelte es jedoch auf São Tomé und Príncipe von
Anopheles gambiae,
Afrikas schlimmstem Malariaüberträger, und
Aedes aegypti,
dem Überträger des Gelbfiebers. [574] Ein wenig ähnelte die Unternehmung einem naturwissenschaftlichen Experiment: Verändere eine Variable und schau, was passiert.
Die ersten beiden Versuche auf São Tomé schlugen fehl – sie scheiterten an den Krankheiten. Ein dritter, größerer Anlauf im Jahr 1493 gelang – nicht zuletzt, weil ihn eine riesige Schar von Sklaven mittrug: Sträflinge und unerwünschte Elemente, unter Letzteren vor allem zweitausend jüdische Kinder, die man ihren Eltern gewaltsam entrissen hatte. Die Sklaven, die das Zuckerrohr pflanzten und es verarbeiteten, die Kriminellen und die Kinder – sie alle starben wie die Fliegen. Nach sechs Jahren waren nur noch sechshundert Kinder am Leben. Trotzdem machte die Kolonie irgendwie weiter. Eine niederländische Streitmacht landete 1599 auf Príncipe, der zweiten Insel, um auch sie in ein Zuckerzentrum zu verwandeln; die Eindringlinge zogen nach nur vier Monaten wieder ab und ließen achtzig Prozent ihrer Männer unter der Erde zurück. Ein Jahr später versuchten es die Niederländer mit einer anderen Taktik: Sie besetzten São Tomé. Zwei Wochen und 1200 tote Niederländer später suchten sie fluchtartig das Weite. Die Europäer starben auf den Inseln so rasch und so zuverlässig, dass die portugiesische Regierung bald unliebsame Priester dorthin schickte, weil das ein Todesurteil war, welches das Verbot des Vatikans, seine Funktionsträger hinzurichten, de jure nicht verletzte. 1554 , sechzig Jahre nach Beginn der Kolonisation, gab es auf São Tomé lediglich 1200 Europäer. Im Jahr 1600 war die Zahl auf zweihundert geschrumpft – die Sklaven übertrafen ihre Herren zahlenmäßig im Verhältnis hundert zu eins. 1785 wurde in einem offiziellen Bericht angegeben, dass nur noch vier Menschen –
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