Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kolumbus' Erbe: Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen (German Edition)

Kolumbus' Erbe: Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen (German Edition)

Titel: Kolumbus' Erbe: Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles C. Mann
Vom Netzwerk:
versucht, die Anteile europäischen, indianischen und afrikanischen Blutes genau zu bestimmen. Es waren gemalte anthropologische Abhandlungen, welche die Rassenmischungen in ihren feinsten Verästelungen darstellten. Dabei wurde gelegentlich vor den schrecklichen Konsequenzen mancher ethnischer Kombinationen gewarnt, wie Mord und Totschlag unter Eheleuten oder Kindern, die ihren Eltern nicht ähnelten.
Afrikaner und Indianerin ergibt
lobo (José de Ibarra, um 1725 );
Spanier und Afrikanerin ergibt
mulato (José de Alcibar zugeschrieben, 1760 – 1770 );
Chamizo und Indianerin ergibt
cambuja (unbekannt, um 1780 );
Spanier und Albino ergibt
tornatrás (Ramón Torres, 1770 – 1780 ).
    Wenn wir uns heute diese Bilder anschauen, ist schwer vorstellbar, was ihre Schöpfer damals dachten. Sie müssen gewusst haben, dass Europäer von den exotischen Bewohnern Neuspaniens zugleich angezogen und abgestoßen waren. Die Porträts sollten dazu dienen, ihre Mitmenschen wie Zootiere vorzuführen. Auf den meisten Bildern aber tragen die
castizos
,
mestizos
und
mulattos
prächtige Kleider, gehen fröhlich ihrem Tagwerk nach und erscheinen samt und sonders groß und gesund. Blickt man in die glatten, lächelnden Gesichter, würde man nie auf den Gedanken kommen, dass diese Menschen auf den Straßen der Städte, in denen sie gemalt worden waren, eben wegen ihrer ethnischen Vielfalt mit Verachtung behandelt wurden. Genauso wenig würde man vermuten, dass die
casta-
Gemälde längst nicht die ganze Vielfalt abbildeten – nicht ein einziges zeigte Neuspaniens asiatische Bevölkerung, die bei weitem größte außerhalb Asiens. [619]
    Stadt in Aufruhr
    Im Januar 1688 verschaffte sich die Menge der Gläubigen Zugang zur Kapelle der heiligen Unschuldigen in der Jesuitenkirche zum Heiligen Geist in Puebla de los Ángeles. Im Inneren war der Leichnam von Catarina de San Juan aufgebahrt, einer frommen Frau aus der Gemeinde, die in ihren Achtzigern gestorben war. Vertreter der Kathedrale und der örtlichen Ordensgemeinschaften hatten sich abgewechselt, den kunstvoll geschnitzten Sarg in die Kapelle zu tragen, wo er auf einer Bahre stand, die mit Bildern und handgeschriebenen Gedichten geschmückt war. In religiöser Ekstase rissen die Gläubigen an dem Leichentuch, das die Tote bedeckte, und versuchten, Finger, Ohren oder Fleischklumpen als Reliquien abzuschneiden. Um Catarinas Leiche vor ihren Anhängern zu schützen, ließen die Kirchenbehörden eine Mannschaft bewaffneter Soldaten aufmarschieren.
    Mitglieder des Stadtrats und die führenden Persönlichkeiten der kirchlichen Institutionen besuchten die Beerdigung und gingen anschließend zur Totenmesse in die Kathedrale. Die Predigt hielt der Jesuitenpater Francisco de Aguilera, der Catarinas Leben farbig und in allen Einzelheiten Revue passieren ließ. Obwohl Catarina den größten Teil ihrer Tage betend zugebracht habe, sei sie, wie Aguilera den versammelten Würdenträgern schilderte, tatsächlich spirituell über den ganzen Planeten gereist. So habe sie entscheidenden Anteil an den christlichen Siegen über die muslimischen Armaden im Mittelmeer gehabt. Später erfuhren ihre Anhänger, sie habe gemeinsam mit der Jungfrau Maria die spanische Schatzflotte vor einem teuflischen Hurrikan gerettet, spanischen Schiffen geholfen, englische und französische Piraten zurückzuschlagen, Japan und China überflogen, um dort das Christentum zu verbreiten, und persönlich dem Märtyrertod franziskanischer Missionare in New Mexico beigewohnt.
    Diese Wundertaten waren zwar selbst für Menschen, die später heiliggesprochen wurden, in Hinblick auf ihre Anzahl ungewöhnlich, aber nicht in ihrem Charakter. Genauso wenig ungewöhnlich waren die hagiographischen Biographien, die nach ihrem Tod von Kirchenmännern geschrieben wurden, die Catarina gekannt hatten, obwohl bei dreien bemerkenswert war, dass sie überhaupt erschienen – eine von ihnen fast tausend Seiten stark. Ungewöhnlich war allerdings Aguileras Behauptung über ihre Geburt: Catarina de San Juan, eine obskure Visionärin in den Bergen von Mexiko, sei die Enkelin eines asiatischen Kaisers gewesen. Noch sonderbarer war der Umstand, dass die Behauptung wahrscheinlich zutreffend war – zumindest weitgehend.
    Mirra, wie sie ursprünglich hieß, wurde um das Jahr 1605 als Tochter einer aristokratischen Familie in einer Stadt des Mogulreichs geboren, wahrscheinlich in Lahore im heutigen Pakistan oder in Agra, das später durch den Taj Mahal

Weitere Kostenlose Bücher