Kolumbus' Erbe: Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen (German Edition)
sie die Kategorien kontrollierten; doch da sie ständig knapp bei Kasse waren, verkauften sie den Leuten jede gewünschte Identität. Wenn Spanier in der Karibik starben, ohne legitime Nachkommen zu hinterlassen, wurden ihre
mestizo-
und
mulatto
-Kinder zu «Spaniern» befördert und als Erben in die Pflicht genommen – eine so häufig stattfindende Umwandlung, dass der Bischof von Puerto Rico 1738 abfällig äußerte, es gäbe nur noch «sehr wenig weiße Familien ohne Beimischung all der schlechten Rassen». Später in jenem Jahrhundert merkte ein Reisender boshaft an, dass zwar «viele Weiße in Hispaniolas offizieller Volkszählung aufgeführt» würden, dass aber dieselben Leute in den örtlichen Kirchenbüchern als «Mischlinge von Weißen und Indianern oder
zambos
,
mulattos
und Schwarzen» bezeichnet würden. [617]
Die Neuen Gesetze, die die indigene Sklaverei verboten, verschärften das ethnische Durcheinander noch. Nach dem spanischen Gesetzbuch Siete Partidas erbten Kinder den Status ihrer Mutter, folglich waren die Nachkommen von europäischen und indianischen Frauen frei – zumindest theoretisch. Infolgedessen bemühten sich afrikanische Männer um nichtafrikanische Frauen, zumal es in den Kolonien sowieso nicht genügend afrikanische Frauen gab – drei Viertel der Sklaven waren Männer. Madrid verlangte, dass Afrikaner nur Afrikanerinnen heirateten, doch der einflussreiche Klerus der Kolonie drängte Sklaven, die in illegitimen Verbindungen lebten, zu kirchlichen Hochzeiten – war das doch eine Möglichkeit, afrikanische Heiden in den Schoß der Kirche zu führen. So hatten schließlich mehr als die Hälfte aller Afrikaner nichtafrikanische Ehefrauen. Die Kolonialverwaltung versuchte, die Siete Partidas außer Kraft zu setzen und afroindianische sowie afroeuropäische Nachkommen trotzdem zu versklaven. In einem Akt kollektiven Widerstands zogen viele von ihnen einfach um, und dank ihrer relativ geringen Hautfärbung vermochten sie den neuen Nachbarn glaubhaft zu erklären, sie seien Indianer oder Spanier.
Theorie und Praxis bezüglich ethnischer und rassischer Unterschiede halten selten einer logischen Überprüfung stand, da bildete Mexiko keine Ausnahme. Genetisch betrachtet verschmolz die Bevölkerung mit der Zeit. Bis zum Ende des 18 . Jahrhunderts verschwanden «reine» Afrikaner, Krankheit und interethnische Ehen verringerten die Zahl «reiner» Indianer drastisch, und selbst die verbleibenden «reinen» Spanier – eine winzige Gruppe, die in Mexico City weniger als fünf Prozent der Bevölkerung stellte – heirateten so häufig außerhalb ihrer eigenen Kategorie, dass auch sie bald nicht mehr als eigenständige Einheit existierten. [618] Doch je schwieriger es wurde, ein Individuum vom anderen zu unterschieden, desto hartnäckiger versuchten die kolonialen Autoritäten, sie auseinanderzuhalten – eine seltsame Dynamik, die sich vielleicht am deutlichsten in einer höchst seltsamen Kunstgattung zeigt: den
casta-
Gemälden.
Casta-
Gemälde sind Serien, die gewöhnlich, aber nicht immer, sechzehn Bilder umfassen – die Zahl, die angeblich erforderlich war, um alle Rassenkategorien Neuspaniens darzustellen. In der Kolonie gemalt oder gestochen, zeigten sie die
mestizos
,
mulattos
,
coyotes
,
lobos
und
tente en el aires
Spanisch-Amerikas mit der erstarrten Genauigkeit, die die Vogelzeichnungen von Audubon haben. Tatsächlich wurden mehrere Serien in Madrids Naturkundemuseum gezeigt: die Spielarten von
Homo sapiens
in Spaniens amerikanischen Kolonien, Seite an Seite ausgestellt mit Fossilien und exotischen Pflanzen. Auf fast allen Gemälden erblickt der Betrachter eine Familiengruppe: einen Mann einer Kategorie, eine Frau einer anderen und ihr Kind. Goldfarbene Schilder, direkt auf die Leinwand gemalt, dienen als erklärende Bildunterschriften:
Von schwarzem Mann und
indianischer Frau:
lobo
. Von spanischem Mann und maurischer Frau: Albino. Von
mulatto
-Mann und
mestiza
-Frau:
lobo-tente-en-el-aire
. Von indianischer Frau und männlichem
lobo-tornatrás
: wieder
lobo.
Mehr als hundert Serien von
casta-
Gemälden sind bekannt. Viele sind wunderschön gestaltet. Einige stammen sogar von Künstlern mit multiethnischen Wurzeln.
Casta-
Gemälde, bizarre Spielarten der damals in Europa beliebten naturkundlichen Malerei, sollten Außenstehenden eine Vorstellung von den ethnischen Mischformen in Spaniens amerikanischen Kolonien vermitteln. Mit Hilfe eines komplexen Rassenschemas wurde
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