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Kolumbus' Erbe: Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen (German Edition)

Kolumbus' Erbe: Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen (German Edition)

Titel: Kolumbus' Erbe: Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles C. Mann
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verfrachten. Die Hälfte der ersten Bewohner von Puebla verschwand gleich wieder, als sie entdeckten, dass man ihnen kein persönliches Kontingent an indianischen Arbeitern zur Verfügung stellte. Um die Stadt zu errichten, mussten die Baumeister schließlich auf
encomienda
-Arbeiter zurückgreifen. Da immer mehr Spanier die Stadt verließen, blieb den Geistlichen nichts anderes übrig, als Anreize zu schaffen. Schließlich erhielt jeder Haushalt in Puebla pro Woche die Dienste von vierzig bis fünfzig indianischen Arbeitern. Die Stadt, die gegründet worden war, um Indianer vor der Zwangsarbeit zu schützen, lebte am Ende gänzlich von indianischer Zwangsarbeit. Und wieder mischten sich die Bevölkerungsgruppen. Selbst dort, wo es den Behörden gelang, Indios und Spanier voneinander getrennt zu halten, traten freigelassene Afrikaner als Arbitragehändler in Erscheinung, indem sie von den Preisunterschieden zwischen indigenen und spanischen Gemeinschaften profitierten: Sie kauften Waren in der einen und verkauften sie in der anderen. [612]
    Die unaufhörlich steigende Zahl von Menschen mit verschiedenen ethnischen Wurzeln führte die Idee zweier Republiken ad absurdum – welche Gruppe gehörte wohin? Die mexikanischen Kirchen führten getrennte Tauf-, Heirats- und Sterberegister für Indios und Spanier. Mussten sie nun ein drittes Register anlegen? Schlimmer noch, der wachsende Anteil multiethnischer Menschen weckte Sorgen um die Reinheit des Kolonistenbluts. [613]
    Damals glaubten viele Spanier, die Eltern würden ihre Ideen und moralischen Verhaltensweisen an die Kinder vererben – verstärkt durch die Gepflogenheiten innerhalb der Familie. Danach übertrug eine Mutter, die als Jüdin oder Muslima geboren wurde, das Wesen des Judentums oder des Islams irgendwie auf ihre Kinder, auch wenn sie diese nie direkt mit der Religion in Berührung brachte. Falls die Kinder in einer Familie mit jüdischen oder muslimischen Sitten lebten, würde der Makel, so diese Ansicht, durch häufiges Baden oder das Verbot von Schweinefleisch noch dunkler und widerstandsfähiger sein. Umgekehrt würde der Geburtsmakel, wenn nicht beseitigt, so doch gemildert werden, wenn das Kind einen christlichen Elternteil hätte, christliches Essen verzehren und christliche Sitten lernen würde. Nach dieser Auffassung waren Afrikaner nicht zu fürchten, weil sie afrikanische Gene hatten, sondern weil ihre Vorfahren sich für die unmoralische Ketzerei des Islam entschieden hatten und dieser sich in den Seelen ihrer Nachfahren eingenistet hatte.
    Ursprünglich sah man bei den Indianern keine solche Gefahr. Da das Evangelium vor Colón nicht nach Amerika gelangt war, hatten ihre Vorfahren den Heiland nicht verschmäht. Ihr heidnischer Glaube war aus Unwissenheit, nicht aus bösem Willen entstanden. Unschuldig, wie sie waren, konnten sie die Sünde der Ketzerei nicht auf ihre Kinder übertragen. Doch im Laufe der Zeit wurde klar, dass viele Indios sich der vollständigen Evangelisierung widersetzten, daher wurden sie in ihrer Gesamtheit verdächtig. Inzwischen stieg die Zahl der Afrikaner und multiethnischen Menschen unaufhaltsam. Im 17 . Jahrhundert von ständig wachsenden unzuverlässigen Bevölkerungsgruppen umgeben, beschlich die Eliten, die im 16 . Jahrhundert nichts gegen Verbindungen mit anderen Ethnien eingewandt hatten, das Gefühl, allmählich die Kontrolle zu verlieren. Damit ging auch ihre einstige Toleranz für das freizügige Verhalten der unteren Schichten verloren.
    Einstellungen zur Rassenfrage sind ein kompliziertes Thema, mit dem sich manche Forscher ihr ganzes Leben lang beschäftigt haben. Die Frage hat eine äußerst negativ besetzte Geschichte und ruft in der Regel Argwohn und Ablehnung hervor. Wie sich also vorstellen lässt, ist das Thema äußerst strittig. Die oben stehende kurze Erörterung ist in erster Linie mein Versuch, einen Teil der, wie ich finde, überzeugenden Analyse von María Elena Martínez, einer Historikerin an der University of Southern California, zusammenzufassen. Natürlich werden einige Forscher über ihre Ansichten, oder zumindest meine verkürzte Wiedergabe ihrer Ansichten, die Nase rümpfen. Doch es besteht kein Zweifel daran, dass die Kolonialverwaltung, als die Gesellschaft, die sie zu kontrollieren hatte, immer vielfältiger wurde, den Versuch unternahm, den Dschinn wieder in die Flasche zu sperren. [614]
    In der zweiten Hälfte des 16 . Jahrhunderts begannen die spanischen Behörden, Personen

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