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Kolumbus' Erbe: Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen (German Edition)

Kolumbus' Erbe: Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen (German Edition)

Titel: Kolumbus' Erbe: Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles C. Mann
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religiösen Laiengruppierungen veranstaltet, den sogenannten Bruderschaften, die den vordergründigen Zweck hatten, bei solchen Anlässen öffentliche Bußübungen zu vollführen, aber tatsächlich ethnisch ausgerichtete Bürgerorganisationen waren. Mitte des 16 . Jahrhunderts hatten Asiaten wesentlichen Anteil an der Gründung der Bruderschaft heiliger Christ; gemeinsam mit den Franziskanern durften ihre Mitglieder eine Kapelle im Kloster errichten und sie mit importiertem Elfenbeinnippes schmücken. Im April 1697 beobachtete der italienische Reisende Giovanni Francesco Gemelli Careri ihren Marsch bei einer Osterprozession in Mexico City. Mit Standbildern und Fackeln ausgerüstet, brachen an diesem Tag drei kostümierte Bruderschaften am Rathaus auf: die Bruderschaft Heilige Dreieinigkeit, die Jesuiten der Kirche San Gregorio und die Franziskaner. Der Marsch der Franziskaner, so merkt Gemelli Careri an, habe «die Prozession der Chinesen» geheißen, weil alle Teilnehmer von den Philippinen stammten. Jede Prozession «wurde von einer Kompanie Soldaten … zu Pferde begleitet und folgte den schwermütigen Klängen einer voranschreitenden Blaskapelle. Als die Prozession an den königlichen Palast gelangte, prügelten sich die Chinesen und die [Franziskaner] um das Recht, die Spitze zu übernehmen; sie schlugen sich gegenseitig mit Knüppeln und Kreuzen auf die Schultern; viele wurden verwundet.» [631]
    Der große chinesische Bevölkerungsanteil bringt die Bedeutung der Stadt als Schaltstelle für Informationen über den Osten zum Ausdruck. 1585 stellte der Dominikanermönch Juan González de Mendoza Berichte von Teilnehmern des Galeonenhandels zu einer
Geschichte der höchst bemerkenswerten Dinge und Sitten im chinesischen Königreich
zusammen. In vielen Ausgaben und Sprachen veröffentlicht, wurde es für gebildete Europäer zu einem Standardwerk über China. Der Chinahandel hielt nicht nur die Zivilregierung von Mexico City in Atem, er beschäftigte auch viele Geistliche in den Kathedralen der Stadt, die ihre Vorsteher baten, eine Galeone besteigen und chinesische Seelen retten zu dürfen. Ein Großteil ihrer Begeisterung wurde allerdings von einer Fehlberechnung genährt: Sie glaubten, Mexiko sei viel näher an China, als es tatsächlich der Fall ist – der kanadische Historiker Luke Clossey hat darauf hingewiesen, dass Peking näher an Rom liegt als Mexico City. Monatelang wartete der Dominikanerpriester Martín de Valencia an Mexikos Westküste auf Cortés’ Schiffe, um sich nach China mitnehmen zu lassen, während sich der Konquistador auf seiner scheiternden Pazifikexpedition befand. Die Schiffe erschienen nie. Auf seinem Totenbett in Mexico City sagte Valencia: «Ich bin um meine Hoffnungen betrogen worden.» [632]
    Mexico Citys Vielzahl kaum definierter ethnischer Gruppen aus Afrika, Asien, Europa und Amerika, die sich auf den Straßen prügelten, die versuchten, die Regierung zu beeinflussen, und widerwillig beim Militär zusammenarbeiteten, bildeten weltweit die erste wirklich globalisierte Stadt – den Beginn des Homogenozäns für
Homo sapiens
. Als ein frühes Beispiel für den menschlichen Zweig des kolumbischen Austauschs war es der Ort, an dem sich Ost und West unter den Blicken der Afrikaner und Indianer trafen. Einerseits schämten sich die Bewohner für das genetische Durcheinander, andererseits waren sie stolz auf ihre kosmopolitische Kultur, vielleicht niemand so sehr wie der Dichter Bernardo de Balbuena, dessen
Grandeza Mexicana
ein zweihundert Seiten starker Liebesbrief an seine Wahlheimat ist. «In dir», schrieb er, Mexico City anredend,
    ist Spanien vereint mit China,
    Italien mit Japan, und endlich
    eine ganze Welt in Handel und Ordnung.
    In dir genießen wir die größten Schätze
    des Westens; in dir die Pracht
    allen Glanzes des Ostens. [633]
    Balbuena schrieb seine Lobeshymne, als die gepriesene Stadt unter Wasser stand. Durch seine Belagerung hatte Cortés das komplizierte Netz aus Deichen und Staumauern zerstört, das die Insel in jedem Frühjahr vor der Überflutung bewahrt hatte; jetzt war die Stadt jeweils monatelang überschwemmt. Die Reparatur der Schäden dauerte fast vier Jahrhunderte, und in gewisser Weise war die Stadt danach noch schlechter dran als vorher. Balbuena schien es nichts auszumachen. Offenbar nahm er bereitwillig hin, durch die Fluten waten zu müssen, solange er an seinem multikulturellen Großstadttraum festhalten konnte: mit dem Singsang religiöser

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