Kolumbus' Erbe: Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen (German Edition)
zwischen dem Ort ihrer Gefangennahme und dem Sklavenhafen sowie auf der Überfahrt nach Amerika. Trotzdem sind Menschen – selbst unter schrecklichsten Umständen – immer noch bemüht, ihre Willensfreiheit zu wahren. Afrikaner und Indianer kämpften gegeneinander, gaben sich wechselseitig als die jeweils anderen aus und verbündeten sich, um gemeinsame Ziele zu erreichen – manchmal alles zur selben Zeit. Ungeachtet der Taktik blieb das Ziel immer das gleiche: Freiheit.
Häufiger als gemeinhin angenommen wurden sie ihrer habhaft. In Brasilien, Peru und der Karibik verschwanden die Sklaven zu Zehn-, ja Hunderttausenden aus dem Gesichtskreis ihrer Besitzer. Spanien erkannte autonome Maroon-Niederlassungen in Ecuador, Kolumbien, Panama und Mexiko an und verwendete sie als Pufferzonen gegen seine Feinde. [640] In Surinam führten «Buschneger» einen jahrhundertelangen Kampf gegen die stolze niederländische Kolonialregierung und zwangen diese 1762 zu einem demütigenden Friedensvertrag – die europäischen Unterhändler mussten, einem afrikanischen Brauch folgend, ihr eigenes Blut trinken. [641] Nach zwei Kriegen in Florida zwang ein Maroon-Indianer-Bündnis die US -Regierung, den Exsklaven auch offiziell die Freiheit zu gewähren. Es war das einzige Mal vor der Emanzipationsproklamation, dass Washington eine Gruppe von Sklaven für frei erklärte; um das Gesicht zu wahren, bezeichnete die Regierung den Vertrag als «Kapitulation». [642] Vor allem aber: Die Sklaven in Haiti schufen 1804 eine eigene Maroon-Nation, indem sie die Franzosen vertrieben – eine Revolution, die Sklavenhalter in Europa und Amerika in Angst und Schrecken versetzte. [643]
Solche Kämpfe sind nicht auf die Vergangenheit beschränkt. Afrikanische Bevölkerungsgruppen in Kolumbien, Zentralamerika und Mexiko treten zunehmend aus dem Schatten und verlangen ein Ende der Diskriminierung. [644] In den USA stehen die Nachkommen der Maroons im Mittelpunkt gerichtlicher Auseinandersetzungen von Florida bis Kalifornien. [645] Doch am größten ist ihr Einfluss wohl in Brasilien, wo jüngst verabschiedete Gesetze ihnen eine Schlüsselrolle für die Entscheidung über die Zukunft Amazoniens einräumen.
Autonome Afrikaner
In ihrer Heimat Afrika, so erzählt man sich, sei Aqualtune eine Prinzessin und Heerführerin gewesen. Sie soll über einen der Imbangala-Staaten geherrscht haben, die sich in Zentralangola nach dem Niedergang des zuvor bestimmenden Königreichs Kongo bildeten. Etwa um 1605 sei sie in einer Schlacht gegen die Kongolesen in Gefangenschaft geraten und als Kriegsgefangene an portugiesische Sklavenhändler verkauft worden. Auf der Überfahrt sei sie vergewaltigt und geschwängert worden. Im Zuckerhafen Recife, an der Spitze der brasilianischen Auswölbung in den Atlantik, wurde Aqualtune an Land gebracht. Als Militärstrategin begann sie natürlich sofort ihre Flucht zu planen. Nach wenigen Monaten befand sie sich mit vierzig ihrer Soldaten im Hinterland. [646] Vierzig Kilometer von der Küste entfernt wird die Ebene von einer Reihe schroffer Basaltfelsen beherrscht, die wie Wachtürme aufragen. Ihre nackten, klippenartigen Wände reichen hundert Meter und mehr empor zu ihren flachen Gipfeln, die einen schwindelerregenden Ausblick auf die umgebende Ebene bieten. Einer dieser hohen Hügel war die Serra da Barriga – der «Bauchberg». Von schattenspendenden Bäumen gesäumt und einem indigenen Dorf umgeben, befand sich auf seinem Gipfel ein Teich voll kühlem Wasser und mit einem Durchmesser von vielleicht sechzehn Metern. Hier gründete Aqualtune Palmares.
Heute ist Aqualtunes Gipfel ein Nationalpark. Stolz berichtet eine Tafel am Teich von ihrer Geschichte – was den Historikern sicherlich ein Dorn im Auge ist, denn niemand weiß, wie viel Wahrheit sie enthält. Gesichertes Wissen hingegen ist der Umstand, dass in den 1620 er und 1630 er Jahren 30 000 oder mehr Afrikaner auf die Serra da Barriga und die benachbarten Hügel flohen, wobei sie sich die Unruhe zunutze machten, die entstand, als die Niederländer in dieser Zeit die portugiesischen Zuckerstädte an der Küste überfielen und besetzten. Der Unterdrückung durch die Europäer ledig, bauten die Flüchtlinge rund um die Serra da Barriga an die zwanzig eng miteinander verbundene Siedlungen – eine Zuflucht für Afrikaner, Indianer und europäische Flüchtlinge. In den 1650 er Jahren, auf dem Höhepunkt dieser Entwicklung, herrschte der Maroon-Staat Palmares laut dem
Weitere Kostenlose Bücher