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Kolumbus' Erbe: Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen (German Edition)

Kolumbus' Erbe: Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen (German Edition)

Titel: Kolumbus' Erbe: Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles C. Mann
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Prozessionen, wehenden Seidengewändern, Kutschen, die unter ihrer Last aus Silber und Gold ächzten, und dröhnenden Kirchenglocken – einer Stadt, in der die Menschen auf blumengesäumten Kanälen dahinglitten, während das Sonnenlicht auf den schneebedeckten Bergen glitzerte. [634] Aber Mexico City war zugleich mehr und weniger als das. Bedroht von Umweltproblemen, zerrissen durch die Fraktionskämpfe einer winzigen spanischen Elite von großem Reichtum im Stadtzentrum und einer brodelnden, zerstrittenen und polyglotten Peripherie, gebeutelt von einer korrupten und unfähigen Führungsschicht, belastet mit einer Vergangenheit, die es kaum verstand, muss das Mexico City des 16 . und 17 . Jahrhunderts dem modernen Betrachter höchst seltsam erscheinen. Mit all seinen Verwerfungen und Brüchen war es eine verblüffend moderne Stadtlandschaft, nicht zu vergleichen mit irgendeinem anderen damaligen Ort auf dem Planeten. Es war die erste Großstadt des 21 . Jahrhunderts, die erste moderne, globalisierte Megalopolis.
    Es mutet töricht an, mit Begriffen wie «modern» und «globalisiert» eine Zeit und einen Ort zu beschreiben, wo es keine Massenkommunikationsmittel gab und wo die meisten Menschen keine Möglichkeit hatten, Waren und Dienstleistungen aus Übersee zu kaufen. Doch selbst heute noch haben Milliarden Menschen auf unserem vernetzten Planeten kein Telefon. Selbst heute noch ist die Reichweite von Waren und Dienstleistungen aus Hightech-Regionen wie den USA , Europa und Japan begrenzt. Die Moderne ist ein Flickwerk, das sich als Muster von Licht und Schatten über den Globus verteilt. Mexico City ist einer der Orte, an denen sie zuerst Fuß fasste.

Kapitel 9 Wald der Entlaufenen
    In Calabar
    Von seinem Fenster aus konnte Christian de Jesus Santana die geheime Stadt sehen. Calabar hieß sie und lag am Rand von Salvador da Bahia im Nordosten Brasiliens, an der inneren Seite eines Gebirgskamms, der parallel zur Küstenlinie verlief. Auf der Seeseite des Kamms, von Calabar aus nicht zu sehen, befand sich die große Allerheiligenbucht (Bahia de Todos os Santos), der zweitgrößte Sklavenhafen der Welt, eine erste Ahnung jenes Prozesses, der 1 , 5  Millionen gefangene Afrikaner auf den amerikanischen Kontinent führte. Die Sklaven sollten den Rest ihrer Tage auf Brasiliens Zuckerplantagen und -mühlen verbringen. Die meisten taten es, aber zahllose Sklaven flohen auch, und viele von ihnen gründeten Niederlassungen für entlaufene Sklaven –
quilombos,
wie die Brasilianer sie nannten – in den Wäldern des Landes. Fast immer schlossen sich ihnen Indianer an, die ebenfalls von europäischen Sklavenhändlern gejagt wurden. Im Schutz steiler Hänge, dichter Wälder, tückischer Flüsse und todbringender Fallen blieben diese wilden, ethnisch gemischten Siedlungen Jahrzehnte und manchmal sogar Jahrhunderte bestehen. In ihrer großen Mehrzahl waren sie klein, doch einige brachten es zu erstaunlicher Größe. Calabar, wo Christian aufwuchs, hatte schließlich 20 000  Einwohner. Der Name der Stadt stammt von einem Sklavenhafen im heutigen Nigeria. Einige Kilometer entfernt lag ein weiterer Salvador-
quilombo –
Liberdade (Freiheit). Heute hat er 600 000  Einwohner und gilt als die größte afroamerikanische Niederlassung der westlichen Hemisphäre. [635]
    Es gibt keine verlässlichen Aufzeichnungen, aber Calabar und Liberdade waren 1650 sicherlich Anlass zu großer Besorgnis. In Liberdade traf ich einen Heimatforscher, der mir berichtete, dass die Stadt tatsächlich schon Jahrzehnte zuvor gegründet worden war, als die Sklaven über einen Indianerpfad im Wald aus Salvador entkommen waren. Die Allerheiligenbucht ist von hohen, bewaldeten Klippen umgeben; Flüchtlinge kletterten die Felsen empor und nahmen auf der anderen Seite Land in Besitz, so schufen sie zwischen dem Kolonialhafen und dem indigenen Inneren einen Ring von Lagern. Manchmal waren ihre Häuser nur ein paar hundert Meter Luftlinie von den europäischen Farmen entfernt, aber die Wälder und Hügel waren so undurchdringlich, dass sie ihre Verstecke nicht preisgaben. Unablässig machten die Portugiesen Jagd auf die entlaufenen Sklaven, trieben aber auch Handel mit ihnen – die Bewohner Calabars tauschten, sechseinhalb Kilometer von Salvador entfernt, getrockneten Fisch, Maniok und Palmöl gegen Messer, Gewehre und Kleidung ein. 1888 schaffte Brasilien endlich die Sklaverei ab, doch das Leben in den
quilombos
ließ wenig Verbesserung erkennen. Sie

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