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Kolumbus' Erbe: Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen (German Edition)

Kolumbus' Erbe: Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen (German Edition)

Titel: Kolumbus' Erbe: Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles C. Mann
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portugiesische Außenseiter und Gesetzlose willkommen. Viele Afrikaner hatten in einer tropischen Klimazone gelebt, bevor sie über den Ozean verschifft wurden. Sie fühlten sich wohl in heißen, feuchten Regionen, wo man Palmen anbaute und Garnelenkörbe in Flüsschen hing. Wenn die Indianer ihnen zeigten, wie man Fische fing, indem man Gift in einen Nebenfluss streute, «Schutzstiefel» aus geschmolzenem Latex anfertigte oder mit langen, röhrenförmigen Körben die Bitterstoffe aus dem Maniok presste, erwiesen sich die Afrikaner als gelehrige Schüler. Die Anpassungsbereitschaft der Portugiesen – ideologische Gegner des
going native
, der Übernahme indigener Lebensweisen und Einstellungen – war weit begrenzter. Infolgedessen erschien ihnen der Wald gefährlich, ein Ort, in den man sich nur mit einer Armee wagte. Als die Kolonisten das Feld den
quilombos
überließen, war ihnen nicht recht bewusst, dass die entlaufenen Sklaven – wie in Calabar oder Liberdade – nur einen kurzen Fußmarsch von den Plantagen entfernt lebten. Infolgedessen blieben die
quilombos
weitgehend sich selbst überlassen – wenn sie nicht das Pech hatten, irgendwelchen Goldschürfern, Kautschukzapfern oder anderen Leuten, die in den Wäldern das schnelle Geld suchten, im Weg zu sein.
    Für das ungeübte Auge sieht das Ufer gegenüber von Maria do Rosarios Haus wie ein typischer tropischer Wildwuchs aus. Doch fast jede Pflanze auf diesem Bild wurde von Rosario und ihrer Familie ausgesät und gepflegt, sodass eine Umwelt entstand, die so ökologisch reich wie künstlich ist.
    In Brasilien existieren zahlreiche religiöse Mischformen – Candomblé, Umbanda, Macumba, Santería –, häufig auf bestimmte Regionen eingegrenzt, in denen Afrobrasilianer trommeln, tanzen und die ritualisierte Kampfsportart Capoeira praktizieren. In ihrer Isolierung entwickelten Brasiliens
quilombos
aus ihren spirituellen Traditionen eigene Umzüge und Feste – Ausdruck eines kollektiven Gedächtnisses, das ein enges Zusammengehörigkeitsgefühl schuf. Nehmen wir beispielsweise das satirische
bumba-meu-boi
(frei übersetzt: «Beweg dich, mein Ochse»), das die
quilombos
im ganzen Nordosten Brasiliens feiern. In der Version, die im
quilombo
Soledade (Einsamkeit) im östlichen Bundesstaat Maranhão praktiziert wird, gedenken die Dorfbewohner mit ihrem Fest des Pai Francisco, eines unter dem Pantoffel stehenden afrikanischen Sklaven, dessen schwangere Frau Verlangen nach einer Ochsenzunge verspürt. Leider ist der einzige Ochse weit und breit der ganze Stolz von Franciscos brutalem Besitzer. Zu allem Überfluss befindet sich das Tier in Franciscos Obhut. Trotzdem führt er seinen Schützling in den Wald und ersticht ihn. Nachdem Francisco rasch gefasst ist, droht ihm die Todesstrafe, wenn es nicht gelingt, das Tier wieder zum Leben zu erwecken. Tänzer stellen die Repräsentanten der Macht dar – vom Bürgermeister der Ortschaft bis zum Präsidenten des Landes –, die erfolglos versuchen, das Tier wiederzubeleben, was den Zuschauern Gelegenheit gibt, Hohn und Spott über sie auszuschütten. Schließlich gelingt das Kunststück indigenen Priestern mit Tabakwolken, parfümiertem Wasser und dem Schütteln ihrer Rasseln: den Arzneimitteln der Heiler. Die Menge jubelt, wenn der Ochse sich schwankend erhebt, und feuert ihn zu lebhaftem Tanz an:
bumba, meu boi
! Mit diesem fröhlichen Durcheinander von amerikanischen und afrikanischen Elementen – Tabak, Priestern und Waldgeschöpfen einerseits, Kühen und Sklaven andererseits – erzählt
bumba-meu-boi
eigentlich die Geschichte des
quilombos
: Sklaven entkommen ihrem Schicksal mit Hilfe der indigenen Bewohner Brasiliens.
    Achthundert Kilometer südwestlich wird der Freiheitskampf des
quilombo
in dem Ritus des
lambe-sujos
 – was so viel heißt wie «Kopfhandtuch», eine abfällige Bezeichnung für das rote afrikanische Tuch, das für Turbane verwendet wird – noch offener beschworen. Einmal im Jahr reiben sich die
quilombo-
Bewohner des Bundesstaats Alagoas den ganzen Körper mit einer glänzenden, pechschwarzen Masse aus Kohle und Öl ein, um bei einem Festumzug das Schicksal ihrer Vorfahren noch einmal auferstehen zu lassen. Der Tag beginnt damit, dass Männer und Frauen, die entflohene Sklaven darstellen, einen schützenden Kreis um einen König oder eine Königin bilden – Angehörige einer afrikanischen Aristokratie wie Aqualtune und Yanga. Einige der Sklaven lutschen an Schnullern, die die

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