Kolumbus' Erbe: Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen (German Edition)
Fläche – halb so groß wie Los Angeles County – galten als landwirtschaftlich nutzbar. Während der nächsten zwanzig Jahre, so schrieb Lan, eroberten amerikanische Nahrungspflanzen die Bergkämme und Hochebenen, sodass die gesamte Ackerfläche auf fast 10 000 Quadratkilometer anwuchs. In dem Maße, wie die landwirtschaftliche Produktivität Sichuans stieg, erhöhte sich die Bevölkerungszahl auf 25 Millionen. Ähnlich verlief die Entwicklung in Shaanxi, Sichuans noch dünner besiedelter Nachbarprovinz im Nordosten. Migranten drängten in die steile, trockene Gebirgsregion entlang der Grenze zwischen den beiden Provinzen, fällten die Bäume, die sich an die Hänge krallten, und schufen so Platz für Süßkartoffeln, Mais und später auch Kartoffeln. Der Erweiterung der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche folgten höhere Erträge im Nahrungsmittelanbau und schließlich eine Zunahme der Bevölkerung. In einigen Regionen wuchs die Zahl der Einwohner in wenig mehr als einem Jahrhundert um mehr als das Hundertfache an. [376]
Fast 2000 Jahre lang hatte Chinas Bevölkerung sich nur sehr langsam vergrößert. Das änderte sich in den Jahrzehnten nach der gewaltsamen Machtübernahme durch die Qing. Von der Ankunft der amerikanischen Nutzpflanzen zu Beginn der neuen Dynastie bis zum Ende des 18 . Jahrhunderts verzeichnete die Bevölkerungszahl einen steilen Anstieg. Unter Historikern sind die genauen Daten dieser Bevölkerungsexplosion noch strittig; viele glauben, es habe in etwa eine Verdoppelung auf 300 Millionen gegeben. Unabhängig von der genauen Zahl hatte der Anstieg erhebliche Konsequenzen. Dieser demographischen Entwicklung verdankt das Land, dass sein Name zu einem Synonym für Überbevölkerung wurde. [377]
China war nicht das einzige asiatische Land, das durch den kolumbischen Austausch verändert wurde. In einem Gebiet, das sich von Tahiti bis Papua-Neuguinea, von Neuseeland bis Hawaii erstreckte, wurde die Süßkartoffel zu einem Grundnahrungsmittel. Überraschenderweise war
I. batatas
in weiten Teilen dieser Region schon vor Kolumbus bekannt – Archäologen haben auf Hawaii, den Osterinseln, den Cook-Inseln und Neuseeland verbrannte Reste der Pflanze gefunden, die auf 1000 n.Chr. datiert werden. Einige Forscher sehen in dieser Artenwanderung über den Pazifik einen Beweis für einen frühen Kontakt zwischen Polynesiern und Indianern; andere vertreten die Auffassung, dass die Samen, die sich in kleinen, runden und schwimmfähigen Kapseln befinden, über das Meer getrieben sein müssen. Ursprünglich hat sich das kaum ausgewirkt. Doch etwa zu der Zeit, als die Spanier nach Manila kamen, begann
Ipomoea batatas
einheimische Nahrungspflanzen wie Yam, Sago und Bananen zu verdrängen. Wie die Chinesen nutzten die Insulaner dann aber die hohen Erträge der Süßkartoffel und ihre Fähigkeit, auf kargen Böden zu gedeihen, um sich in Hochlandgebieten anzusiedeln, die zuvor kaum bewohnt waren. Neuguinea wandelte sich so grundlegend, dass einige Archäologen von einer «ipomoeischen Revolution» sprechen. [378] Trotzdem war die Wirkung in China folgenschwerer, wenn auch vielleicht nur, weil China so groß ist und weil das Land eine Zentralregierung hatte, die die Verbreitung der Süßkartoffel durchsetzen konnte.
Mais am Rand der Wüste Gobi, innere Mongolei
Waren Mais, Kartoffeln und Süßkartoffeln allein für Chinas Bevölkerungsexplosion verantwortlich? Nein. Die amerikanischen Pflanzen trafen ein, als die Qing bereits mit der Umgestaltung des Reichs begonnen hatten. Ehrgeizig in vielerlei Hinsicht, bekämpfte die Dynastie auch Krankheit und Hunger, die beiden wichtigsten Todesursachen in China, indem sie die weltweit erste Impfkampagne gegen Pocken durchführte, das ganze Land mit einem Netz von Kornspeichern überzog, die überschüssiges Getreide aufkauften und bei Knappheit zu niedrigen, staatlich kontrollierten Preisen verkauften, und die ersten durchdachten Katastrophenpläne der Zeit entwarf, die teilweise einfach darin bestanden, den Einzug der Getreideabgaben in Hungergebieten auszusetzen. Gleichzeitig zogen die Qing gegen die traditionelle Methode der Geburtenkontrolle zu Felde: die Tötung weiblicher Neugeborener. Viele chinesische Männer hatten Junggesellen bleiben müssen, weil die Kindstötung zu einem Frauenmangel in der Bevölkerung geführt hatte. Jetzt konnten mehr Menschen heiraten und Kinder haben; jetzt sank die Wahrscheinlichkeit, dass ihre Kinder an Pocken oder Hunger
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