Kolumbus' Erbe: Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen (German Edition)
Mechanismus der Bevölkerungsfalle besser als Malthus – ich verwende das defensive Wort «offenbar», weil er seine Ideen nie im Detail dargelegt hat. Die Theorie des Engländers ging von einer einfachen Vorhersage aus: Mehr Nahrung würde zu mehr Mäulern und damit zu mehr Elend führen. Tatsächlich hat die Weltlandwirtschaft aber mehr als Schritt gehalten. Zwischen 1961 und 2007 hat sich die Weltbevölkerung ungefähr verdoppelt, während sich die Ernteerträge für Weizen, Reis und Mais verdreifacht haben. [385] Trotz raschen Bevölkerungswachstums ist der Prozentsatz der chronisch unterernährten Menschen zurückgegangen – ganz im Gegensatz zu den Vorhersagen von Malthus. Natürlich gibt es den Hunger noch, aber die Aussicht, dass irgendein zufällig ausgewähltes Kind an Unterernährung leidet, ist mit ermutigender Stetigkeit zurückgegangen. Hong dagegen wies noch auf eine verwandte, aber komplexere Zukunftsaussicht hin. Das ständige Bedürfnis, die Erträge zu steigern, würde, wie Hong weit vorausschauend darlegte, eine ökologische Katastrophe heraufbeschwören, die zu einem Zerfall der Gesellschaft und massivem menschlichem Leid führen würde.
Genau diesen Prozess meinen die Forscher heute, wenn sie von der malthusischen Bevölkerungsfalle sprechen. Die heutige Umweltdebatte lässt sich nämlich unter anderem auf die Frage reduzieren, ob die Menschheit auch weiterhin Wohlstand und Wissen anhäufen wird, wie seit der industriellen Revolution geschehen, oder ob die ökologischen Auswirkungen dieser Akkumulation – Bodenzerstörung, Verlust an Artenvielfalt, Verbrauch der Grundwasservorräte, Klimaveränderung – die Bevölkerungsfalle zuschnappen lassen und die Erde in den Stand vorindustriellen Elends zurückwerfen werden. In diesem Zusammenhang ist es beunruhigend, dass China, zumindest teilweise, ein Beispiel für die zweite Möglichkeit liefert. In den Jahrzehnten nach dem Vordringen der amerikanischen Pflanzen in die Hochlandgebiete wurde die reichste Gesellschaft der Welt durch einen Kampf mit der eigenen Umwelt erschüttert – einen Kampf, den sie eindeutig verlor.
«Die Berge offenbaren ihre Steine»
Zwischen den 1680 er Jahren, als die Qing den Silberhandel wiederaufnahmen, und den 1780 er Jahren stieg der Reispreis in Suzhou, einem Reishandelszentrum in der Nähe des modernen Schanghai, auf mehr als das Vierfache an. Die Einkommen hielten nicht Schritt – ideale Voraussetzungen für soziale Unruhen. Wie auf ein Stichwort brachen überall in China Revolten aus; der Aufruhr, der Hong entsetzte, soll allein mehrere Millionen Leben gekostet haben. Laut dem Wirtschaftshistoriker Quan Hansheng waren dafür zum Teil die umfangreichen Silberlieferungen nach Fujian verantwortlich, die die chinesischen Lebensmittelpreise genauso in die Höhe trieben, wie zuvor der Zustrom von Silber nach Spanien zu einem Anstieg der europäischen Preise geführt hatte. Vermutlich hat das jähe Bevölkerungswachstum die Nachfrage verstärkt, was die Preise zusätzlich unter Druck gesetzt hat. Manchmal bewirkten auch die staatlichen Käufe für die Kornspeicher den Effekt. Doch es gab noch einen weiteren gewichtigen Grund für die Preisentwicklung: Viele Bauern bauten einfach keinen Reis mehr an. [386]
Die Qing-Kaiser hatten den Ausbau der Infrastruktur energisch vorangetrieben, sodass die Bauern ihre Ernten mit Gewinn verkaufen konnten. Der Transport der Grundnahrungsmittel hatte erleichtert werden sollen; mit Hilfe der neuen Straßen sollten Kaufleute Reis und Weizen aus Gegenden, in denen Überschüsse erzielt wurden, an Orte befördern können, wo sie benötigt wurden. Stattdessen entdeckten die Kleinbauern aber, dass sie durch den Umstieg von Reis und Weizen auf Zuckerrohr, Erdnüsse, Maulbeerbäume und, vor allem, Tabak mehr verdienen konnten.
Ursprünglich gingen die Qing entschlossen gegen diese Umstellung vor und verlangten von den Kleinbauern, «korrekten Ackerbau» zu betreiben – das heißt, Reis und Weizen anzubauen. «Tabak ist ungesund für die Menschen», verkündete der Yongzheng-Kaiser 1727 . «Da der Anbau von Tabak ergiebige Böden braucht, schadet sein Anbau der Weizenerzeugung.» Doch in dem Maße, wie der Hof in Isolation geriet und der Korruption verfiel – offenbar das Schicksal aller chinesischen Dynastien –, verlor er das Interesse an der landwirtschaftlichen Korrektheit.
Die Bauern nutzten die Gelegenheit. Tabak verlangte zwar sechsmal so viel Dünger und doppelt so viel
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