Kolumbus' Erbe: Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen (German Edition)
verdoppelt oder bestenfalls um das Drei- bis Fünffache vergrößert, während die Bevölkerung um das Zwanzigfache angewachsen war. Daher herrscht immer Knappheit an Ackerland und Häusern, während es stets einen Überschuss an Familien und an Bevölkerung gibt …
Frage: Haben Himmel und Erde eine Möglichkeit, dieser Situation Herr zu werden? Antwort: Die Mittel, die Himmel und Erde nutzen, um einen Ausgleich zu schaffen, sind Überschwemmungen, Trockenheiten und Seuchen.» [382]
Fünf Jahre später hatte in England jemand anders eine ähnliche Idee: Reverend Thomas Robert Malthus. Dieser schüchterne, freundliche Mann mit einer leichten Hasenscharte war in Großbritannien – und wahrscheinlich in der Welt – der erste Mensch, der an einer Universität Ökonomie lehrte, also Berufsökonom war. Nach einer Meinungsverschiedenheit mit seinem Vater, einem wohlbetuchten Exzentriker englischen Stils, sah er sich gezwungen, über Bevölkerungswachstum nachzudenken. In ihrem Streitgespräch war es um die Frage gegangen, ob das Menschengeschlecht die Welt in ein Paradies verwandeln könne. Malthus glaubte das nicht und legte diese Ansicht ausführlich dar – mit 55 000 Wörtern, die 1798 in einem unsignierten Einblattdruck erschienen. Mehrere längere Versionen folgten. Die waren signiert; Malthus hatte an Selbstbewusstsein gewonnen.
«Die Kraft der Bevölkerung», verkündete er, «ist unendlich viel größer als die Kraft der Erde, Unterhalt für den Menschen hervorzubringen.» In heutigen Lehrbüchern wird diese Idee häufig durch ein Diagramm wiedergegeben. Eine Kurve steht für den gesamten Nahrungsmittelvorrat; sie steigt langsam in dem Maße von links nach rechts an, wie die Menschen mehr Land roden und den Boden effizienter bewirtschaften. Eine zweite Kurve beginnt niedrig, krümmt sich rasch nach oben, schneidet die andere und entfernt sich dann in steilem Anstieg von ihr; diese Kurve stellt das exponentielle Wachstum der menschlichen Bevölkerung dar. Schließlich lässt sich die Lücke zwischen den beiden Kurven nicht mehr überbrücken, und die vier apokalyptischen Reiter treten in Erscheinung. Jeder Versuch, die Nahrungsmittelversorgung zu verbessern, führe nur dazu, so Malthus, die Bevölkerungszahl zu erhöhen, die jedes Mehr an Nahrung mehr als aufwiege – eine Situation, die heute als malthusische Katastrophe oder Bevölkerungsfalle bezeichnet wird. Ginge es nach Malthus, könnten wir Utopia vergessen: Die Menschheit sei dazu verdammt, jetzt und für immer am Rande des Hungertods zu vegetieren. Auch die Wohltätigkeit könnten wir getrost vergessen: Den Armen zu helfen führe nur zu größerem Kinderreichtum, der auf lange Sicht noch größere Not bewirke. Ganz egal, wie reich der Tisch gedeckt sei, es werde immer zu viele Hungrige geben, die von ihm essen wollten. Der Bevölkerungsfalle sei nicht zu entkommen.
Die Reaktion war explosiv. «Vom Erscheinen seines
Essay of Population
», schrieb der bedeutende Wirtschaftshistoriker Joseph Schumpeter, «bis auf den heutigen Tag hatte Malthus das Glück – und dies
ist
ein Glück –, falsch und widerspruchsvoll eingeschätzt zu werden.» John Maynard Keynes hielt Malthus für den «Beginn des systematischen wirtschaftlichen Denkens». Percy Bysshe Shelley dagegen verspottete ihn als «Eunuchen und Tyrannen». John Stuart Mill sah in Malthus einen großen Denker. Karl Marx nannte Malthus einen «Meister des Plagiats» und «schamlosen Sykophanten der herrschenden Klassen». «Er war ein Wohltäter der Menschheit», schrieb Schumpeter. «Er war ihr Feind. Er war ein großer Denker. Er war ein Dummkopf.» [383]
Hong dagegen blieb unbeachtet. Im Gegensatz zu Malthus hat er seine Gedanken nie systematisch dargelegt, nicht zuletzt, weil er seine Energie darauf verwandte, die korrupten Beamten zu kritisieren, denen er unterstellte, sie plünderten den Qing-Staat aus. Entsetzt über die brutale, plumpe Reaktion der Regierung auf eine Rebellion hungernder Bauern in Sichuan und Shaanxi, schied Hong 1799 aus seinem Amt. Er verfasste ein weitschweifiges, aber bemerkenswert unverblümtes Rücktrittsschreiben an den Kronprinzen, der es an den Jiaging-Kaiser weitergab – nicht zu verwechseln mit dem alchemiebesessenen Jiajing-Kaiser, der zweihundert Jahre vorher regiert hatte. Der erzürnte Herrscher verurteilte Hong zu lebenslangem Exil, womit er ihn zum Schweigen brachte. [384]
Der Mangel an Anerkennung war unverdient; offenbar begriff Hong den
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