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Kolumbus' Erbe: Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen (German Edition)

Kolumbus' Erbe: Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen (German Edition)

Titel: Kolumbus' Erbe: Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles C. Mann
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zerschlugen die Erdklumpen in kleinere Stücke. In Löcher auf dem
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wurden Kartoffelsamen oder kleine Knollen ausgebracht – Letztere hatten zumindest ein Auge, aus dem die neue Kartoffelpflanze wachsen konnte. Religiöse Lieder und Sprechgesänge gaben den Rhythmus vor, während sich die Arbeiter methodisch über das Feld bewegten. In den Pausen trank man
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(Maisbier) und kaute eine Handvoll Cocablätter. War ein Feld fertig, gingen die Dorfleute zum nächsten, bis die Felder aller bestellt waren – eine Tradition kollektiver Arbeit, die ein Merkmal der Andenvölker ist. [420]
    Verwendung eines Fußpflugs, Zeichnung von Felipe Guaman Poma de Ayala, einem indigenen Adligen, aus dem Jahr 1615 : Andenbauern brechen den Boden auf. Frauen folgen ihnen und bringen die Saat aus.
    Vier oder fünf Monate später machten sich die Bauern an die Ernte, gruben die Kartoffeln aus und ebneten das
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für die nächste Feldfrucht – häufig Quinoa, das Andengetreide. Von den giftigen Früchten abgesehen, wurde jeder Teil der Kartoffelpflanze verwertet. Die Blätter dienten als Futter für Lamas und Alpakas. Andere Teile wurden sofort als Brennmaterial verwendet. Unmittelbar nach der Ernte stapelten die Familien harte Erdklumpen zu igluförmigen Öfen von einem halben Meter Höhe auf. Die Stängel kamen zusammen mit Stroh, Buschwerk und Holzstücken in den Ofen – nach Ankunft der Spanier verwendete man Kuhmist. Das Feuer erhitzte die irdenen Öfen, bis sie weiß wurden. Dann schoben die Köche die Asche beiseite und legten frisch geerntete Kartoffeln zum Backen hinein. Das praktizieren die Dorfbewohner im Hochland noch heute – die in der Dämmerung glühenden Öfen sprenkeln die Hänge. In die kalte, klare Luft kräuselt sich der Dampf des heißen Essens. Die Leute stippen ihre Kartoffeln in grobes Salz und essbaren Ton. Der Nachtwind trägt den Geruch röstender Kartoffeln meilenweit mit sich.
    Allerdings glichen die Knollen, die die präkolumbischen Völker rösteten, nicht der modernen Kartoffel. In verschiedenen Höhenlagen pflanzten die Andenvölker verschiedene Varietäten. Die meisten Bewohner eines Dorfes bauten ein paar Grundtypen an, doch jeder zog auf seinem kleinen, unregelmäßigen
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auch andere Varianten, um eine gewisse Geschmacksvielfalt zu haben, während an den Rändern wilde Kartoffeln wuchsen. Das Ergebnis war eine bunte Fülle. Die Kartoffeln eines Dorfes in einer bestimmten Höhenlage konnten ganz anders aussehen als die Kartoffeln eines nur wenige Kilometer entfernten Dorfes in einer anderen Höhenlage.
    Wenn die Bauern kleine Knollen statt Samen pflanzen, sind die Sprösslinge Klone; in den entwickelten Ländern sind ganze Landschaften mit Kartoffeln bedeckt, die genetisch fast identisch sind. Ganz anderes brachten die Ergebnisse eines Forschungsteams aus Peruanern und US -Amerikanern zutage: Die Wissenschaftler faden heraus, dass die Familien eines Bergtals in Zentralperu im Durchschnitt 10 , 6 traditionelle Varietäten anbauten – sogenannte Landrassen –, die alle eigene Namen haben. Karl Zimmerer, der heute an der Pennsylvania State University ist, hat in einigen Dörfern Felder mit bis zu zwanzig Landrassen gesehen. Das Internationale Kartoffelzentrum in Peru hat mehr als 3700 Varietäten gesammelt und erhalten. Die Vielfalt der Kartoffeln auf einem einzigen Andenfeld, so Zimmerer, «übertrifft die Diversität von neun Zehnteln der Kartoffelpflanzen in den gesamten USA ». Gleichwohl sind nicht alle Varietäten, die angebaut werden, traditionell. Die Bauern erzeugen auch moderne Kartoffeln, wie wir sie aus Idaho kennen, beschreiben sie aber als fad – Kartoffeln für die Banausen in den Städten. [421]
    Infolgedessen sind die Andenkartoffeln weniger eine einzige klar unterscheidbare Art als vielmehr ein buntes Gemisch verschiedener genetischer Entitäten. Der Versuch, sie zuzuordnen, hat Taxonomen – Forscher, die Lebewesen nach ihren vermuteten evolutionären Beziehungen klassifizieren – jahrzehntelang Kopfschmerzen bereitet. In wissenschaftlichen Studien wurden die Kulturkartoffeln auf Andenfeldern – unterschiedlich und widersprüchlich – in einundzwanzig, neun, sieben und drei Arten unterteilt beziehungsweise als eine Art beurteilt, wobei jede dieser Arten noch in viele Unterarten, Gruppen, Varietäten und Formen aufgefächert wird. Die meisten Forscher gehen heute wohl von vier Arten aus, obwohl der Meinungsstreit noch keineswegs beigelegt ist. Nach

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