Kolumbus' Erbe: Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen (German Edition)
ausgiebig besprüht wurden. Der Wettbewerb um die Entwicklung immer wirksamerer Arsenverbindungen führte zur Entstehung der modernen Pestizidindustrie – dem dritten Standbein des modernen Agrobusiness. Durch die systematische Verbindung von verbesserten Pflanzen, Hochleistungsdünger und künstlichen Pestiziden kam es in den 1950 er und 1960 er Jahren zu einem explosionsartigen Anstieg der landwirtschaftlichen Produktivität, der sogenannten Grünen Revolution, die die landwirtschaftlichen Betriebe von Illinois bis Indonesien veränderte – und einem täglich sich verschärfenden politischen Streit über das Nahrungsmittelangebot.
Ein Meer von Genen
1853 errichtete der Bildhauer Andreas Friedrich auf einem Marmorsockel in der Stadtmitte von Offenburg ein Standbild von Sir Francis Drake. Friedrich porträtierte ihn in der Manier der Zeit: mit visionärem Blick auf den Horizont. Seine rechte Hand umschloss eine Kartoffel. «Sir Francis Drake», so stand auf dem Sockel,
Verbreiter der Kartoffeln in Europa
im Jahre des Herrn 1586
Der Segen von Millionen Menschen,
die den Erdball bebauen,
Dein unvergänglichster Nachruhm
Am 9 . November 1938 wurde das Standbild im Verlauf der Novemberpogrome, der sogenannten Reichskristallnacht, von den Nationalsozialisten zerstört. Die Zerstörung des Standbilds war ein Verbrechen gegen die Kunst, nicht gegen die Geschichte: Drake hat die Kartoffel mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht nach Europa eingeführt. Doch selbst wenn er es getan hätte, wäre die Statue unangebracht gewesen. Denn das eigentliche Verdienst für
Solanum tuberosum
gebührt sicherlich den Andenvölkern, die aus dem Wildtyp eine Kulturpflanze machten. [411]
Das Offenburger Standbild für Sir Francis Drake, das an die Einführung der Kartoffel durch ihn erinnerte, wurde von den Nationalsozialisten zerstört.
Geographisch waren die Anden ein denkbar ungeeigneter Ort für die Entwicklung eines Hauptnahrungsmittels. Die zweithöchste Gebirgskette der Erde bildet mit ihren Gipfeln an der Pazifikküste Südamerikas eine 8800 Kilometer lange und fast 7000 Meter hohe Eisbarriere. Wie geschmolzene Juwelen an einem Gürtel liegen hier und da aktive Vulkane dazwischen. Allein Ecuador hat im letzten Jahrhundert sieben Ausbrüche erlebt; und auch beim San José an Chiles Westgrenze sind seit 1822 sieben Eruptionen verzeichnet worden. Die Vulkane sind durch eine geologische Bruchzone verbunden, die durch ihren gewaltigen Druck Erdbeben, Flutwellen sowie Erdrutsche verursacht. Und wenn das Land seismisch stillhält, wird das Klima aktiv. Die Temperaturen im Hochland können in wenigen Stunden von vierundzwanzig Grad Celsius auf unter null fallen – die Luft ist zu dünn, um die Wärme zu halten. Plötzliche Hagelschauer lassen Fenster zerspringen und Autos von der Straße rutschen. Der berüchtigte El Niño – der Name ist in den Anden geprägt worden – bringt Überschwemmungen an der Küste und Trockenheit auf den Hochebenen. El-Niño-Phasen können Jahre dauern.
Der Hauptteil der Andenkette besteht aus drei mehr oder minder parallel verlaufenden Gebirgszügen, zwischen denen die Hochplateaus des sogenannten Altiplano liegen. Auf einer Durchschnittshöhe von rund 3600 Metern befinden sich hier die meisten Agrarflächen der Region; das ist etwa so, als müsste Europa von der landwirtschaftlichen Nutzung der Alpenregion leben. Die steile Ostseite der Anden fängt die warmen, feuchten Winde vom Amazonas ab und wird folglich von heftigen Niederschlägen heimgesucht; die westliche, dem Ozean zugewandte Seite liegt im «Regenschatten» der Gipfel, dort befinden sich einige der trockensten Gebiete der Erde. Der Altiplano dazwischen hat eine Trocken- und eine Regenzeit, wobei der Regen vor allem zwischen November und März fällt. Sich selbst überlassen wären diese Gebiete klassische Grasebenen.
In dieser spröden Region entwickelte sich bemerkenswerterweise eine der bedeutendsten Kulturen der Welt, die laut dem Geografen Daniel W. Gade 1492 «ein höheres Maß an Verfeinerung» besaß als irgendeine andere Gebirgskultur der Welt. Selbst als die ägyptischen Pharaonendynastien die Pyramiden bauten, waren ihnen die Andengesellschaften mit ihren monumentalen Tempeln und Kultplätzen ebenbürtig. Kriegerische Reiche kämpften von Ecuador bis Chile um die Macht. Nazca, mit seinen berühmten Steinlinien und Tierdarstellungen; Chavín, mit seinen gewaltigen Tempeln in Chavín de Huántar; die
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