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Kolumbus' Erbe: Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen (German Edition)

Kolumbus' Erbe: Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen (German Edition)

Titel: Kolumbus' Erbe: Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles C. Mann
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Freien aus. Wenn sich das Eis in den Kartoffelzellen ausdehnt, zerreißt es die Zellwände. In der Morgensonne tauen die Kartoffeln auf, um in der nächsten Nacht wieder zu gefrieren. Durch die Wiederholung dieses Zyklus von Gefrieren und Auftauen verwandeln sich die Kartoffeln in weiche, saftige Klumpen. Die Bauern drücken das Wasser aus, um
chuño
zu erhalten: feste, styroporartige Gebilde, die um etwa zwei Drittel kleiner und leichter sind als die ursprünglichen Knollen. Dann werden sie längere Zeit der Sonne ausgesetzt und nehmen eine grau-schwärzliche Färbung an; zu einem scharfen Anden-Stew geschmort, ähneln sie Gnocchi, den Klößchen aus Kartoffelmehl, die man in Mittelitalien schätzt.
Chuño
hält sich jahrelang, ohne dass es eingefroren werden müsste – es kann also als Reserve für Missernten aufbewahrt werden. Das Inkaheer ernährte sich auf seinen Eroberungszügen hauptsächlich von
chuño
. [415]
    Damals wie heute war die Landwirtschaft in den Anden ein Kampf gegen die Geographie. Das abschüssige Gelände ist ständig von Erosion bedroht. Fast die Hälfte der Bevölkerung bebaut Ackerflächen mit einer Neigung von mehr als zwanzig Grad. [416] Bei jedem Einschnitt mit dem Pflug rollen Erdklumpen talwärts. Viele der besten Äcker – diejenigen mit der dicksten Bodenschicht – befinden sich auf Ablagerungen, die Landrutsche zurückgelassen haben, und sind daher noch anfälliger für Erosion als das übrige Land. Verschärft werden die Probleme obendrein durch tropische Wetterverhältnisse: eine Trockenzeit mit zu wenig, eine Regenzeit mit zu viel Wasser. Während der Trockenzeit trägt der Wind die dünne Bodenschicht ab. Nach heftigen Niederschlägen in der Regenzeit schießt das Wasser talwärts, wäscht die Nährstoffe aus der Erde, überflutet die Täler und ertränkt die Pflanzen. Um das Wasser in geordnete Bahnen zu lenken und die Erosion einzuschränken, bauten die Andenvölker Terrassen mit insgesamt mehr als anderthalb Millionen Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche. 1572 bewunderte der spanische Entdeckungsreisende Pedro Sarmiento de Gamboa diese Anlagen, die wie Treppenstufen in die Berge gegraben waren – «mehr oder weniger zweihundert Schritt tief und zwanzig bis dreißig breit, mit gemauerten Wänden und gefüllt mit Erde, die großenteils über weite Entfernungen herbeigeschafft werden musste. Wir nennen sie
andenes
[Plattformen]» – ein Ausdruck, dem die Anden möglicherweise ihren Namen verdanken. Die Indios des 15 . Jahrhunderts verwendeten also weit angemessenere Methoden, als Mao im 20 . Jahrhundert anordnete, und erzielten auch weit bessere Ergebnisse. [417]
    Auf dem flacheren, feuchteren Land um den Titicacasee errichteten die indigenen Gemeinschaften fast 1300 Quadratkilometer erhöhte Äcker: rechteckige Erdhügel, jeder mehrere Meter breit und viele – manchmal Hunderte – Meter lang. Die Plattformen waren durch einen bis zu einem halben Meter tiefen Graben, in dem sich Wasser sammelte, voneinander getrennt. Tagsüber speicherte der Graben die Wärme und nachts gab er sie ab. Die vielfältige Topographie mit ihren Höhenunterschieden und die Temperaturschwankungen an der Oberfläche erzeugten leichte Luftturbulenzen, die die wärmere Luft in den Gräben mit der kälteren über den Plattformen mischten, wodurch sich die Temperatur um die Pflanzen herum um mehr als zwei Grad Celsius erhöhte, eine enormer Vorteil an einem Ort, wo die Sommernächte fast bis zum Gefrierpunkt abkühlen. [418]
    An vielen Stellen waren keine erhöhten Felder möglich, daher bauten die Indianer kleinere
wacho
oder
wachu
(Kämme), parallel verlaufende Grate aus aufgeworfener Erde, vielleicht einen halben Meter breit und getrennt durch flache Gräben von gleichem Maß. [419] Da es in Amerika keine großen domestizierbaren Tiere gab – Lamas sind zu klein, um einen Pflug zu ziehen oder einen Menschen zu tragen –, verrichteten die Bauern alle Arbeit mit Hacken oder Fußpflügen – langen Holzstielen mit kurzen Griffen, scharfen Stein-, Bronze- oder Kupferspitzen und Fußstützen darüber. Die Männer des Dorfs bildeten eine Linie auf dem Feld, wandten dem Acker den Rücken zu, hoben die Pflüge und stießen sie in den Boden, dann traten sie auf die Fußstütze, um das Gerät noch tiefer zu rammen. Schritt für Schritt arbeiteten sie sich voran und schufen auf diese Weise Kämme und Furchen. Ihnen zugewandt, folgten ihre Frauen oder Schwestern mit Hacken oder Schlegeln und

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