Kolumbus' Erbe: Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen (German Edition)
bereisen. Seine Artikel und Illustrationen zeigen eine Landschaft voller Ruinen und verhungernder Bettler – und trugen nicht wenig dazu bei, die englische Öffentlichkeit auf die Krise aufmerksam zu machen.
Großbritannien organisierte das größte Hilfsprogramm seiner Geschichte, das aber hoffnungslos unzureichend blieb – weitgehend, wie die irischen Nationalisten behaupten, weil London versucht habe, aus der Krise Kapital zu schlagen, indem es sein Bemühen intensivierte, Irlands «primitive» Subsistenzlandwirtschaft in eine exportorientierte Agrikultur umzuwandeln. Statt sie einfach mit Nahrung zu versorgen, zogen die Briten die Menschen von den Bauernhöfen ab, steckten sie in Arbeitshäuser und speisten sie aus Suppenküchen. Die Höfe wurden zu größeren, für die Exportproduktion geeigneteren Einheiten zusammengefasst. Andere Kritiker verweisen darauf, wie viel Lebensmittel während der Hungersnot aus Irland exportiert wurden: 430 000 Tonnen Getreide 1846 und 1847 , in den beiden schlimmsten Jahren. «Gewiss, der Allmächtige hat die Kraut- und Knollenfäule geschickt», wetterte John Mitchel, der Führer der Nationalisten, «aber die Engländer haben die Hungersnot hervorgerufen.»
Beispiele für die britische Gefühllosigkeit gab es in der Tat zuhauf. Einige Politiker begrüßten die Entvölkerung, die, so der Beauftragte eines Ministers, «uns den nötigen Raum verschafft, um zivilisiert zu werden». Andere meinten, die Suppenküchen mit Lebensmitteln zu beliefern schade nur; wenn «große Zahlen am Hunger zugrunde gingen», so ein hoher Vertreter des Bankwesens, «würden sich die materiellen Verhältnisse der Überlebenden wieder normalisieren».
Die Verteidiger Englands erwidern darauf, die antiirischen Politiker hätten zwar Erschütterndes gesagt, seien aber nicht beachtet worden. In der Praxis hätten die hungernden Menschen zusammengezogen werden müssen, um mit Nahrung versorgt werden zu können; große Mengen Lebensmittel an weit verstreute Familien zu verteilen, sei selbst heute keine leichte Aufgabe. Im Übrigen seien die Exporteure überwiegend irische Bauern gewesen, die teures Fleisch und Getreide verkauft hätten, um billige Nahrungsmittel für ihre Familien zu erstehen. Das Scheitern an einer nie dagewesenen Herausforderung sei, so schrecklich die Konsequenzen auch gewesen seien, kein moralisches Versagen – so oder ähnlich wird argumentiert. [468]
Egal, welches Maß an Schuld den Briten nun tatsächlich zufällt, über die Folgen der Hungersnot in Irland lässt sich nicht streiten: Sie zerriss die Nation in zwei Hälften. Mit mindestens einer Million Toten war sie – prozentual zur Bevölkerung – eine der tödlichsten Hungersnöte in der Geschichte. Heute würde eine vergleichbare Katastrophe in den Vereinigten Staaten fast 40 Millionen Menschen das Leben kosten. Nur die Hungersnot von 1918 bis 1922 in der Sowjetunion ist möglicherweise schlimmer gewesen. In dem Jahrzehnt der Knollenfäule verließen außerdem zwei Millionen Iren das Land. Weit mehr noch folgten in den Jahrzehnten danach, wodurch die Bevölkerungszahl unaufhaltsam zurückging. Die Nation hat sich nie wirklich davon erholt. Noch in den 1960 er Jahren war die Bevölkerung nur halb so groß wie 1840 . Irland zeichnet sich durch die traurige Besonderheit aus, dass es die einzige Nation Europas und vielleicht der Welt ist, in deren Grenzen heute weniger Menschen leben als vor hundertfünfzig Jahren. [469]
Lazy-beds
Die Große Hungersnot hinterließ so tiefe Narben in Irland, dass selbst Historiker hundert Jahre lang Schwierigkeiten hatten, sich mit ihr zu beschäftigen. Seit den 1970 er Jahren sind allerdings Hunderte von Büchern und Artikeln über die Katastrophe erschienen. Doch in dieser ganzen Fülle von Publikationen ist ihrer Ursache –
Phytophthora infestans
– überraschend wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden, leider, denn der Eipilz war der Protagonist des ersten Desasters, von dem die moderne industrielle Landwirtschaft betroffen war.
P. infestans
kam überraschend mühelos nach Irland und eroberte das Land mit unglaublicher Geschwindigkeit. Der Inselstaat ist achthundert Kilometer von Westflandern entfernt. Dazwischen liegen die Nord- und die Irische See. Die Sporen der Fäule sind anfällig: Wenn sie der UV -Strahlung im Sonnenlicht eine einzige Stunde lang ausgesetzt sind, reduziert das die Wahrscheinlichkeit, dass sie keimen, um fünfundneunzig Prozent. Schon ein leichter Regen
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