Kolumbus' Erbe: Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen (German Edition)
Mittelschichtsstadt im Michigan-Stil bauen: mit Krankenhaus, Schulen, Kinos, Methodistenkirchen und Holzbungalows an baumgesäumten Straßen. Auf einem Hügel lag der einzige Achtzehn-Loch-Golfplatz des ganzen Amazonasbeckens. Ordentlich und geradlinig wie Ford selbst, war der Ort das genaue Gegenteil der Boomtown Manaus. Witzbolde tauften das Projekt augenblicklich Fordlândia. Da Fordlândia hügelig war, verursachte die Beseitigung der Vegetation «massive Erosions- und Entwässerungsprobleme», erklärte mir William I. Woods, ein Bodenwissenschaftler und Geograph von der University of Kansas. Um der Erosion Einhalt zu gebieten, so erläuterte er, habe das Unternehmen das Land terrassieren lassen müssen, eine «ungeheuer kostspielige» Maßnahme. Auf jeden Fall sei der Boden zu sandig gewesen. Da die Besitzungen 216 Kilometer den Rio Tapajós hinauf lagen, konnten dort während der Trockenzeit keine hochseetüchtigen Schiffe anlegen. «Selbst wenn sie Kautschuk geerntet hätten, hätten sie ihn nicht verschiffen können.»
Für Ford brachten die nächsten Jahre eine Reihe unliebsamer Überraschungen. Erst als die Kautschukbäume der ersten Saison eingingen, fand das Unternehmen heraus, dass
H. brasiliensis
nur gedeiht, wenn sie zu bestimmten Jahreszeiten gepflanzt wird. Erst als die Kosten für die Frachtdampfer bezahlt werden mussten, wurde klar, dass man die Rodung der Besitzungen nicht durch den Verkauf des Hartholzes in den USA finanzieren konnte. Und erst als Tausende von Hektar bepflanzt waren, fand das Unternehmen heraus, dass es im Amazonasgebiet einen Pilz –
Microcyclus ulei
– gibt, der eine besondere Vorliebe für Kautschukbäume hat. Dieser letzte Satz trifft nicht ganz zu. Das Unternehmen wusste zwar, dass es
M. ulei
gab. Aber es hatte keine Ahnung, dass er nicht aufzuhalten war. [533]
Auf dem Höhepunkt des Kautschukbooms beauftragte Brasilien den Ingenieur und Schriftsteller Euclides da Cunha, die umstrittene Westgrenze zu vermessen. Da Cunha fand die Ufer des Rio Purus, eines Nebenflusses des oberen Amazonas, von Hunderten Kautschukproduktionsstätten gesäumt. Um die Feuer zu schüren, auf denen der Latex gekocht wurde, und um die Dampfboote zu befeuern, die ihn flussabwärts transportierten, verbrauchte jede Fabrik riesige Holzmengen – ein frühes Beispiel für die Zerstörung des Regenwalds.
Microcyclus ulei
verursacht die Südamerikanische Blattfallkrankheit. Sie beginnt, wenn eine Spore auf einem
Hevea-
Blatt landet. Ähnlich wie die Spore der Kraut- und Knollenfäule bildet der winzige Zweizeller der Blattfallkrankheit einen dünnen, wurzelartigen Schlauch aus, der sich seitwärts an der Oberfläche des Blattes ausdehnt. Gewöhnlich hat der Keimschlauch an seinem Ende eine Haftscheibe. Mit einer Richtungsänderung im rechten Winkel bohrt sich die Haftscheibe in die inneren Zellen des Blattes. Je nach dessen Abwehrkräften verläuft der Infektionsprozess unterschiedlich. Am Ende aber gewinnt der Pilz fast immer und gelangt ins Blattinnere. Dort produziert er Sporen – sehr viele Sporen –, die aus neuen Schläuchen an der Unterseite des Blattes hervortreten. Sie werden von Regentropfen abgeschlagen oder durch die Berührung mit anderen Blättern abgerieben. Zurück bleiben abgestorbene, schwarze Blätter, die vom Baum abfallen. Die Blattfallkrankheit entlaubt
H. brasiliensis
. Die befallenen Bäume, die ich zu Gesicht bekommen habe, sahen so aus, als sei ihnen jemand mit einem Schweißbrenner zu Leibe gerückt. Viele Bäume überleben einen Befall mit
M. ulei
, wenn auch mit eingeschränktem Wachstum, aber ein zweites oder drittes Mal bedeutet ihren sicheren Tod.
Die Sporen von
M. ulei
überleben die Trennung vom Heimatblatt nicht lange. Daher stehen
Hevea
-Bäume unter natürlichen Bedingungen in großem Abstand zueinander; wenn einer der Blattfallkrankheit zum Opfer fällt, sind die anderen zu weit entfernt, um angegriffen zu werden. Auf Plantagen dagegen sind die Bäume sich so nahe, dass ihre oberen Zweige miteinander verflochten sind. Wie Eichhörnchen hüpfen die Sporen von Baum zu Baum. Der Pilz kann auch durch die Kleidung und die Fingernägel der Plantagenarbeiter übertragen werden. Das geschah in Fordlândia. [534]
Ironiker werden zu schätzen wissen, dass
M. ulei
just in dem Augenblick zuschlug, als Ford endlich seinen ersten echten Kautschukexperten einstellte. James R. Weir war Pflanzenpathologe und Exdirektor der US -amerikanischen National Fungus
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