Kolumbus' Erbe: Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen (German Edition)
chinesische Firmen, Kautschukplantagen in den winzigen, verarmten Dörfern jenseits der laotischen Grenze anzulegen. Eines der Dörfer war Ban Namma. Der Mann mit den Zigaretten hatte die Dorfbewohner überredet, 530 Hektar ihres Landes mit
Hevea brasiliensis
zu bepflanzen. [526]
Der Kautschukmann stellte sich als Mr. Chen vor. Das Projekt sei nicht gänzlich erfolgreich gewesen, berichtete er mir. Kautschukbäume müssten auf warme, sonnige Hänge gepflanzt werden, die weder Wind noch Kälte ausgesetzt seien, und müssten sieben Jahre gepflegt werden, bevor man sie anzapfen könne. In Ban Namma aber hätten die Dorfleute keine Erfahrung mit
H. brasiliensis
gehabt und Anfängerfehler gemacht. Sie hätten das Land an den falschen Stellen gerodet und nicht ausreichend gewässert. Aus den vereinbarten 530 Hektar gesunden Bäumen seien weniger als zweihundert Hektar mit verkümmerten Exemplaren geworden. [527]
Trotz Rückschlägen dieser Art boomte der laotische Kautschuk. In einem Umkreis von mehreren Kilometern rund um Ban Namma war der Wald auf Geheiß der Kautschukfirma restlos abgeholzt worden. Junge Kautschukbäume sprossen wie ein Dreitagebart auf dem gerodeten Land. Ganz im Westen, nahe der Grenze zu Myanmar, wurden fast 3100 Quadratkilometer von einer großen chinesischen Holding – Chinesisch-Laotisches Ruifeng-Kautschuk – gerodet und bepflanzt; eine weitere Firma, Yunnan Naturkautschuk, wollte 1700 Quadratkilometer in eine Kautschukplantage verwandeln. Nach einem Bericht des Wirtschaftswissenschaftlers Weiyi Shi aus dem Jahr 2008 für die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit ( GTZ ) war noch weit mehr geplant. Das Gebiet wurde in eine biologische Fabrik zur Erzeugung von Latex verwandelt, das in den Lastwagen, die bald die schmalen Straßen herunterrumpelten, abtransportiert wurde.
Wenn man einer einzigen Person die Schuld an diesem ökologischen Debakel geben könnte, wäre es Henry Alexander Wickham. Wickham ist schwierig zu beurteilen: Man hat ihn Dieb und Patriot genannt, eine wichtige Figur in der Industriegeschichte und einen armen Tölpel, der als Geschäftsmann auf drei Kontinenten scheiterte. Vielleicht lässt er sich am besten als ein bewusster Akteur des kolumbischen Austauschs kennzeichnen. 1846 wurde er als Sohn eines achtbaren Londoner Rechtsanwalts und der Tochter eines walisischen Hutmachers geboren. Als er vier Jahre alt war, fiel der Vater der Cholera zum Opfer und überantwortete die Familie einem langsamen Abstieg auf der sozialen Leiter. Wickham verbrachte den Rest seines Lebens mit dem Versuch, sie wieder hinaufzuklettern. In diesem Bemühen reiste er kreuz und quer durch die Welt, ruinierte seine Ehe und entfremdete sich seiner Familie, während er in blinder Verbissenheit große Pflanzungen mit tropischen Arten zu gründen suchte. Maniok in Brasilien, Tabak in Australien, Bananen in Honduras, Kokosnüsse auf den Conflict-Inseln vor Neuguinea – bei all seinen Versuchen erlitt er Schiffbruch. Sein Abenteuer in Brasilien kostete seiner Mutter und seiner Schwester, die ihn begleitet hatten, das Leben. Die Kokosplantage auf einer ansonsten unbewohnten Insel war so entlegen und unwirtlich, dass Wickhams Frau, die viele entbehrungsreiche Jahre klaglos ertragen hatte, ihn schließlich vor die Wahl stellte: die Kokosnüsse oder sie. Wickham entschied sich für die Kokosnüsse. Sie sprachen nie wieder ein Wort miteinander. Trotzdem war er am Ende seines Lebens ein geachteter Mann. Die Menge applaudierte, wenn er eine Ehrenbühne betrat, die Jacke mit Silberknöpfen verziert und ein Nautilusgehäuse als Krawattenhalter. Sein gewachster Schnurrbart reichte mit imposanter Krümmung bis unters Kinn. Im Alter von vierundsiebzig Jahren wurde er in den Ritterstand erhoben. [528]
Henry Wickham
Wickham wurde diese Ehre zuteil, weil er 1876 70 000 Kautschuksamen nach England geschmuggelt hatte. Dabei handelte er im Auftrag von Clements R. Markham, einem Gelehrten und Abenteurer mit beträchtlicher Erfahrung im Schwarzhandel mit Bäumen. Als junger Mann hatte Markham in den Anden eine Suche nach Chinarindenbäumen geleitet. Die Rinde dieses Baums war die alleinige Quelle für Chinin, das einzige wirksame Mittel gegen Malaria, das damals bekannt war. Peru, Bolivien und Ecuador, die ihr Monopol wahren wollten, verboten die Ausfuhr von
Cinchona
. Fast zeitgleich organisierte Markham drei geheime Expeditionstrupps, von denen er einen selbst anführte. Fast ohne Nahrung,
Weitere Kostenlose Bücher