Kolumbus kam als Letzter
gegen die Katharer und die Gleichsetzung der Empfängnisverhütung mit Mord kann dazu führen, dass
die um 1360 nach der Pest beginnende und 1484 für ganz Europa
koordinierte Hexenverfolgung als bloße Fortsetzung der Katharer-
bekämpfung aufzufassen ist, denn die Inquisition benötigte ein
neues Aufgabenfeld (Heinsohn/Steiger, 1985, S. 112 f.).
Nach dem Beginn der Kleinen Eiszeit führte die schwarze Pest ab
1348 im Zusammenspiel mit den Überflutungen an der gesamten
Nordseeküste zu einem dramatischen Bevölkerungsrückgang. Was
hat dies mit der Kirche zu tun? Um 1430 besaßen die Klöster und
die Kirche in England 25 Prozent und in Schweden 21 Prozent
vom Grund und Boden (Cipolla, 1981, S. 55 ff.). Hinzu kommen
die Besitzungen der weltlichen Feudalherrscher (Krone). Der durch
die Katastrophen Mitte des 14. Jhs. hervorgerufene Bevölkerungs-
rückgang führte zu einer dramatischen Verknappung der Arbeits-
kräfte, welche die Kirche für die Bearbeitung ihrer Ländereien
dringend benötigte. Die durch die weisen Frauen praktizierte Emp-
fängnisverhütung war unerwünscht!
Mit dem Wüten der Naturkatastrophen dezimierte die Pest große
Bevölkerungsteile Europas, Vorderasiens und Nordafrikas. Der
heilbaren Beulenpest und der fast immer todbringenden Lungenpest
fielen in den Katastrophenjahren 1348-1352 Millionen von Men-
schen zum Opfer. Nach Schätzungen wurden um die 25 Millionen
Menschen, etwa ein Drittel der Bevölkerung, durch den schwarzen
Tod hingerafft (»Lexikon der deutschen Geschichte«, S. 382). In
England wird der Menschenverlust sogar auf 60 Prozent geschätzt
(Hatcher, 1977, S. 71).
158
Abb. 24: Verluste.
Der Rückgang der Be-
völkerung in England
von 1086 bis 1525 war
zu Beginn der Kleinen
Eiszeit im 14. Jh. Be-
sonders stark. Allein
durch die große Pest
ging die Bevölkerung
um 25 bis 30 Prozent
zurück (Nordberg,
1984, S. 32). Abbildung
aus Heinsohn/Steiger
(1985), nach Hatcher
(1977).
Im Auftrag Gregors V. wurden in den Jahren 1230 bis 1234 die so
genannten Decretales verfasst, ein Kanon gegen die Empfängnisverhütung. Im Buch V, Kapitel 5, Abschnitt 12 heißt es: »Wer
Zauberei verübt oder sterilisierende Gifte verabreicht, ist ein Mörder. Wenn jemand zur Befriedigung seiner Lust oder in bewuss-tem Hass einem Mann oder einer Frau etwas antut oder etwas zu
trinken gibt, sodass er nicht zeugen oder sie nicht empfangen kann,
oder keine Kinder geboren werden können, so soll er für den
Mörder gehalten werden« (Noonan, 1969, S. 215). »Der durch die
›Hebammen geschädigte katholische Glaube‹ (»Hexenhammer«,
Straßburg 1487) erweist sich also als Schädigung des größten
Grundbesitzers Europas an der Quelle seines Reichtums, nämlich
an seinen unfreien Arbeitskräften« (Heinsohn/Steiger, 1985, S.
112).
Die kirchlichen Interessen standen für die Wiederbeschaffung von
Arbeitskräften und nicht für einen plötzlichen extremistischen
Glaubenseifer. Mit dem Höhepunkt der Verknappung der Arbeits-
kräfte um 1360 begann regional, jedoch noch nicht europaweit, die
Tötung der Hexen in großer Zahl. Der Inquisitor Paramo stellte
1404 mit Stolz fest, dass schon mehr als 30 000 Hexen verbrannt
wurden und »wenn diese Hexen der Straflosigkeit sich erfreut hat-
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ten, dann hätten sie die ganze Welt zu ihrem vollständigen Ruin ge-
führt« (Poliakov, 1978, S. 43). Die Hexenprozesse fanden ihren Höhepunkt zwischen 1590 und 1630. Die letzten Hinrichtungen,
meist Verbrennung bei lebendigem Leib, fanden in Glarus (1782)
und Posen (1793) statt.
An der Ausbreitung und den Exzessen der Hexenverfolgungen hatte die Schrift »Der Hexenhammer« (Malleus maleficarum, Straßburg 1487) der beiden Dominikaner Heinrich Institoris und Jakob
Sprenger entscheidenden Anteil; sie wurde zum Strafkodex der Ge-
richtspraxis in Mitteleuropa bis ins 17. Jh. und führte die Denunziation anstelle der Anklage und die Anwendung der Folter und Hexenprobe ein. Mit anderen Worten, das neu formulierte Ziel der
Inquisition war eine staatlich überwachte Menschenproduktion.
Gregor IX. zentralisierte 1231/32 die Inquisition in einer päpstli-
chen Behörde, die von den Inquisitoren (vornehmlich Dominika-nern) verwaltet wurde. Von Anfang an verquickten sich mit der
Ketzerverfolgung (beispielsweise auch des Templerordens) jedoch
handfeste politische und wirtschaftliche Interessen.
Die Hexenverfolgungen und die damit verbundenen Verfahren
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