Kolyma
unterbreitet hast, ich solle meinen Mann verlassen. Das war es doch, was du gesagt hast, oder? Ich sollte ihn im Gulag sterben lassen und derweil mit dir ins Bett steigen.«
»Ich war jung.«
»Stimmt, das warst du. Sehr jung. Und trotzdem hat man dir Macht über mich gegeben, und über meinen Mann. Du warst ein verknalltes Bürschlein, kaum aus dem Halbstarkenalter heraus. Du hast gedacht, du würdest anständig handeln, als du versucht hast, mich zu retten.«
Wie oft war sie dieses Gespräch schon in Gedanken durchgegangen. Sieben Jahre Hass hatten ihre Worte geformt. »Ich bin um Haaresbreite davongekommen. Wenn die Angst mich überwältigt hätte, wenn ich eingeknickt wäre, dann hätte ich mich als Frau eines MGB-Agenten wiedergefunden, als Komplizin deiner Verbrechen. Als eine, mit der du deine Schuld geteilt hättest.«
»Du hast jeden Grund, mich zu hassen.«
»Ich habe mehr Gründe, als du ahnst.«
»Aber Raisa, Soja und Elena, die haben doch mit meinen Fehlern nichts zu tun.«
»Du willst sagen, sie sind unschuldig? Seit wann kümmert das Agenten wie dich? Wie viele unschuldige Leute hast du verhaftet?«
»Du willst also jeden Einzelnen umbringen, der dir Unrecht getan hat?«
»Suren habe ich nicht umgebracht. Und auch nicht deinen Mentor Nikolai.«
»Seine Töchter sind tot.«
Frajera lächelte. »Mich bringst du nicht zum Weinen, Maxim. Ich habe kein Herz mehr. Nikolai war ein eitler Weichling. Ich hätte mir denken sollen, dass er auf eine so erbärmliche Weise sterben würde. Aber als Botschaft an den Staat war es so auf jeden Fall effektiver, als wenn er sich einfach nur erhängt hätte.«
Die Kirche der Heiligen Sophia hatte man zerstört und durch eine tiefe, dunkle Grube ersetzt. Leo fragte sich, ob das Gleiche auch mit Frajera passiert war. Ihr moralisches Fundament war herausgebrochen und durch ein finsteres Loch ersetzt worden.
»Ich gehe davon aus, dass du von allein auf die Verbindung zwischen Suren, der die Druckerei geleitet hat, Nikolai, dem Patriarchen und dir selbst gekommen bist«, fuhr Frajera fort. »Du kanntest Nikolai, er war dein Vorgesetzter. Der Patriarch war derjenige, der dich in die Lage versetzte, die Kirche zu unterwandern.«
»Suren hat für den MGB gearbeitet, aber persönlich kannte ich ihn nicht.«
»Er war Wärter, als man mich verhört hat. Ich weiß noch genau, wie er auf Zehenspitzen dastand und in die Zelle lugte. Ich erinnere mich an das obere Ende seines Kopfes, an die neugierigen Augen, die zusahen, so als hätte er sich in ein Kino geschlichen.«
»Was hast du vor?«, fragte Leo.
»Wenn alle Polizisten Verbrecher sind, dann müssen die Verbrecher eben zu Polizisten werden. Die Unschuldigen müssen buchstäblich im Untergrund hausen, in der Scheiße der Stadt, während die Gauner in ihren gut geheizten Wohnungen sitzen. Die Welt steht Kopf, und ich drehe sie wieder richtig herum.«
Leo unterbrach sie. »Und was ist mit Soja? Du willst sie töten. Ein junges Mädchen, das mich noch nicht einmal leiden kann. Ein Mädchen, das sich nur deshalb entschlossen hat, bei mir zu wohnen, um seiner kleinen Schwester das Waisenhaus zu ersparen!«
»Deine Versuche, an meine Menschlichkeit zu appellieren, laufen ins Leere. Anisja ist tot. Sie starb, als der Staat ihr das Kind wegnahm.«
Leo verstand nicht. Um seine offensichtliche Verwirrung aufzulösen, fügte sie hinzu: »Maxim, ich war schwanger, als du mich verhaftet hast.« •
Mit chirurgischer Präzision untersuchte Frajera diese frische Wunde, zog sie auseinander und sah zu, wie sie blutete. »Du hast dir also nie die Mühe gemacht herauszufinden, was man mit Lasar gemacht hatte. Du hast dir nicht mal die Mühe gemacht herauszufinden, was man mit mir gemacht hatte. Wenn du in die Akten geschaut hättest, dann hättest du herausgefunden, dass ich acht Monate nach meiner Verurteilung ein Kind geboren habe. Drei Monate lang wurde mir erlaubt, meinen Sohn zu stillen, dann wurde er mir weggenommen. Man sagte mir, ich solle ihn vergessen, weil ich ihn nie wiedersehen würde. Als ich nach Stalins Tod begnadigt und frühzeitig entlassen wurde, habe ich nach meinem Kind gesucht. Man hatte ihn in einem Waisenhaus untergebracht, aber seinen Namen geändert. Alle Zeugnisse meiner Mutterschaft waren gelöscht worden. Das sei so üblich, wurde mir mitgeteilt. Es ist eine Sache, ein Kind zu verlieren. Eine andere ist es zu wissen, dass dein Kind lebt, irgendwo, und von deiner Existenz nichts weiß.«
»Frajera, ich
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