Kolyma
kann den Staat nicht entschuldigen. Ich habe Befehle befolgt. Und ich habe Fehler gemacht. Die Befehle waren schlecht. Der Staat war schlecht. Aber ich habe mich geändert.«
»Ich weiß, wie du dich geändert hast. Du bist nicht mehr beim KGB, du bist jetzt bei der Miliz. Du kümmerst dich nur noch um richtige Verbrechen, nicht mehr um politische. Du hast zwei wunderbare junge Mädchen adoptiert. Und das ist deine Vorstellung von Reue, oder? Was geht mich das alles an? Was ist mit dem, was du mir schuldest? Und all den anderen Männern und Frauen, die du verhaftet hast? Wie soll diese Schuld beglichen werden? Hast du vor, eine bescheidene Stele zu errichten, um der Toten zu gedenken? Willst du eine Bronzetafel anbringen, auf der unsere Namen stehen, aber in klitzekleiner Schrift, damit alle draufpassen? Reicht das?«
»Willst du mich umbringen?«
»Darüber habe ich schon oft nachgedacht.«
»Dann bring mich um, und lass Soja am Leben. Lass meine Frau am Leben.«
»Du würdest liebend gern in den Tod gehen, um sie zu retten. Es würde dich adeln, würde dich von deinen Verbrechen reinwaschen. Glaubst du immer noch, dass du weiter der Held sein kannst?«
Frajera deutete auf seine Kleider. »Zieh dich aus.« Leo schwieg. Hatte er richtig gehört? Sie wiederholte die Anweisung. »Maxim, zieh deine Klamotten aus.«
Leo legte seinen Hut ab, dann seine Handschuhe und den Mantel und legte alles zu Boden. Er knöpfte sein Hemd auf und legte es schlotternd vor Kälte auf dem Haufen ab.
Frajera hob die Hand. »Das reicht.«
Zitternd und mit hängenden Armen stand er da.
»Ist dir kalt, Maxim? Das ist nichts im Vergleich zu den Wintern in Kolyma, dem Eisblock unseres Landes, wohin du meinen Mann geschickt hast.«
Zu Leos Verblüffung fing auch Frajera an, sich auszuziehen. Sie legte ihre Jacke ab, dann ihr Hemd und entblößte ihren Oberkörper. Die Haut war übersät mit Tätowierungen: eine unter ihrer rechten Brust, eine auf dem Bauch, mehrere auf den Armen, den Händen, den Fingern. Sie trat näher an Leo heran.
»Willst du wissen, was ich in den letzten Jahren erlebt habe? Willst du wissen, wie eine Frau, die Ehefrau eines Priesters, zur Anführerin einer wory-Bande werden konnte? Die Antworten sind mir auf die Haut geschrieben.«
Die Nacktheit schien ihr nichts auszumachen. Sie nahm ihre Brust in die Hand und hob sie hoch, damit Leo die Tätowierung besser sehen konnte. Es war ein brüllender Löwe. »Der bedeutet, dass ich mich an allen rächen werde, die mir etwas angetan haben, von den Anwälten über die Richter und Gefängniswärter bis hin zu den Polizisten.«
Mitten auf ihrem Brustkorb prangte zwischen ihren Brüsten ein Kruzifix. »Das hat nichts mit meinem Mann zu tun, Maxim. Es repräsentiert meine Allgewalt als rechtmäßige Diebin. - Die hier verstehst du vielleicht.«
Frajera berührte die Tätowierung auf ihrem Bauch. Sie zeigte eine hochschwangere Frau, und ein Kreuzschnitt zeigte, was sich in ihrem gewölbten Bauch befand. Statt eines ungeborenen Kindes war der schwangere Bauch angefüllt mit Stacheldraht, der aufgewickelt war wie eine lange, schartige Nabelschnur.
»Du hast die reine Haut eines Kindes, Maxim. Mir und meinen Männern kommt das unehrlich vor. Wo sind deine Verbrechen? Wo sind all die Dinge, die du getan hast? Ich sehe keinerlei Spuren davon. Du trägst kein einziges Stigma. Ich sehe keine Schuld auf dir geschrieben.«
Frajera machte noch einen Schritt auf ihn zu, beinahe berührte ihr Körper jetzt seinen.
»Ich kann dich anfassen, Maxim. Wenn du aber auch nur einen Finger auf mich legst, wirst du getötet. Meine Haut ist gleichbedeutend mit meiner Autorität. Wenn du mich berühren würdest, wäre das ein Übergriff, eine Beleidigung.«
Sie drückte sich an ihn und flüsterte: »Jetzt, sieben Jahre später, bin ich an der Reihe, dir ein Angebot zu machen. Lasar ist immer noch in Kolyma, er arbeitet in einer Goldmine. Sie wollen ihn nicht freilassen. Er ist ein Priester. Priester sind neuerdings wieder verhasst, wo wir keine Kriege haben, für deren Rechtfertigung der Staat sie braucht. Man hat Lasar gesagt, dass er seine volle Strafe absitzen muss - fünfundzwanzig Jahre. Ich will, dass du ihn rausholst. Ich will, dass du diesen Fehler wiedergutmachst. «
»Dazu habe ich nicht die Macht.«
»Du hast Verbindungen.«
»Frajera, ihr habt den Patriarchen ermordet. Sie machen euch für den Tod zweier Agenten verantwortlich, Nikolai und Moskwin. Nie und nimmer werden sie
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