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Kolyma

Kolyma

Titel: Kolyma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Rob Smith
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Kommunikation nur eine Erklärung: Vermutlich war die Holzwand zwischen dem Lagerraum und dem Maschinenraum zerborsten wie ein dürrer Zweig. Das hieß, dass die Gefangenen jetzt nicht mehr eingesperrt waren. Sie konnten in den Maschinenraum und von dort aus über Treppen bis zum Turm vordringen. Wenn es den Gefangenen gelang, bis zu den höher gelegenen Decks vorzudringen, würden sie alle umbringen und einen neuen Kurs in Richtung internationaler Gewässer ansteuern. Dort würden sie im Austausch für antikommunistische Propaganda Asyl beantragen. Fünfhundert Gefangene gegen eine Mannschaft von dreißig Leuten, von denen nur zwanzig Wärter waren.
    Die Kontrolle über die unter Deck liegenden Ebenen hatten sie schon verloren. Sie konnten den Maschinenraum nicht zurückerobern oder auch nur die Mannschaft, die dort gerade Schicht hatte, retten. Aber es war immer noch möglich, diese Zone abzuriegeln und die Gefangenen im Bauch des Schiffes eingesperrt zu halten. Vom Maschinenraum führten zwei Zugänge nach oben. Timur näherte sich dem ersten, während eine Gruppe von Wärtern zum zweiten geschickt worden war. Wenn eine der Türen offen blieb und den Gefangenen in die Hände fiel, war das Schiff verloren.
    Timur rannte nach links und dann nach rechts und stolperte die letzte Treppe hinunter. Jetzt befand er sich am Sockel des Turms. Direkt vor ihm, am Ende des Gangs, lag die erste der beiden Zugangstüren. Unverschlossen schwang sie hin und her und schepperte gegen die Stahlwände. Plötzlich drehte sich das Schiff und neigte sich steil nach oben, sodass Timur auf Händen und Knien nach vorne geschleudert wurde. Die schwere Eisentür schwang auf, und er sah eine Horde von Gefangenen, die aus dem Maschinenraum heraufgestürmt kam, bestimmt dreißig oder vierzig Männer. Beide Seiten entdeckten einander gleichzeitig. Die Tür war jetzt genau zwischen ihnen, und über die Trennlinie zwischen Freiheit und Gefangenschaft hinweg starrten sie sich an.
    Die Gefangenen stürzten vor. Timur reagierte, sprang vom Boden auf und warf sich genau in dem Moment gegen die Tür, als von der anderen Seite unzählige Hände dagegendrückten. Ausgeschlossen, dass er sie lange würde aufhalten können. Seine Füße rutschten schon weg, gleich waren die anderen durch. Er griff nach seiner Waffe.
    In diesem Moment warf der Sturm das Schiff zur Seite und riss die Gefangenen von der Tür weg, während er gleichzeitig Timur dagegen warf. Die Tür knallte zu. Timur legte den Riegel vor und klemmte ihn fest. Hätte der Sturm das Schiff zur anderen Seite geneigt, wäre Timur zu Boden geschleudert worden. Die Gefangenen wären wie eine wild gewordene Herde über ihn hergefallen und hätten ihn überwältigt. Jetzt trommelten sie fluchend vor Wut, dass ihnen die Freiheit im letzten Moment entrissen worden war, mit den Fäusten gegen die Tür. Aber ihre Stimmen waren kaum zu hören und die Schläge vergeblich. Die dicke Stahltür war verschlossen.
    In seine Erleichterung hinein hörte Timur plötzlich Maschinengewehrfeuer. Die Gefangenen mussten durch die zweite Tür gedrungen sein. Er rannte los, stolperte an verlassenen Mannschaftsquartieren vorbei, bog um eine Ecke und sah zwei Wachleute, die sich hingekauert hatten und feuerten. Als er bei ihnen war, zog er seine Waffe und zielte in dieselbe Richtung. Zwischen ihnen und der zweiten Zugangstür lagen Menschen auf dem Boden, es waren getroffene Sträflinge. Einige lebten noch und winkten um Hilfe. Die entscheidende Tür hinunter zu den Ebenen unter Deck, der einzige noch verbliebene Ausgang für die Gefangenen, war mit einem Holzbalken aufgehebelt worden, der jetzt aus ihr hervorragte. Selbst wenn Timur sich also gegen die Tür stemmte, er würde sie nicht zubekommen. Die anderen Beamten waren panisch und schossen wild drauflos. Querschläger prallten von den Stahlwänden ab und schwirrten mit tödlicher Zufälligkeit durch den Gang. Timur gab den Wärtern Zeichen, ihre Waffen zu senken.
    Der Bewegung des Meeres folgend, schwappten auf dem Boden Wasserlachen von einer Seite zur anderen. Die Gefangenen drängten nun nicht mehr vor, sondern verschanzten sich hinter der Tür. Vermutlich hatten die Halsabschneider gerade einige Mühe, die etwa zwanzig Freiwilligen zu finden, die bereit waren, ihr Leben bei dem Vorstoß zu opfern, der den Gang unter ihre Kontrolle bringen würde. So viele würden mindestens sterben, bevor die Wärter überwältigt waren.
    Timur nahm sich eines der Maschinengewehre

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