Koma: Kriminalroman (Ein Harry-Hole-Krimi) (German Edition)
keine Luft mehr. Er setzte sich und sagte, dass er mich umbringen würde, wenn ich jemals etwas wegen seiner Alibis sagen würde. Und dass ich nicht glauben sollte, dass er lange im Knast bliebe. Dann stand er auf und ging. Mir war danach klar, dass er mich umbringen würde, solange ich wusste, was ich wusste. Also bin ich nach Hause gefahren, habe alle Türen verschlossen und drei Tage lang nur geheult. Am vierten Tag rief mich eine sogenannte Freundin an und wollte Geld leihen. Sie war irgend so einem Heroinersatz verfallen, den sie später Violin nannten. Normalerweise lege ich immer auf, wenn sie sich meldet, aber an dem Tag habe ich das nicht getan. Am nächsten Abend saß sie zu Hause bei mir und half mir, mir den ersten Schuss meines Lebens zu setzen. Und was soll ich sagen, es hat geholfen. Violin … Das hat alles wiedergutgemacht … das …«
Katrine sah das Glänzen einer alten Liebe in dem zerstörten Blick der Frau.
»Und dann waren auch Sie süchtig«, sagte Beate. »Sie haben das Haus verkauft …«
»Nicht nur wegen dem Geld«, sagte Irja. »Ich musste abhauen. Musste mich verstecken. Alles, was zu mir führen konnte, musste weg.«
»Sie haben Ihre Kreditkarte nicht mehr benutzt und den Umzug nie gemeldet«, sagte Katrine. »Nicht einmal ihre Sozialhilfe haben Sie sich geholt.«
»Natürlich nicht.«
»Nicht einmal nach Valentins Tod?«
Irja antwortete nicht. Blinzelte nicht. Saß reglos da, während sich der Rauch der längst heruntergebrannten Kippe zwischen ihren nikotingelben Fingern langsam zur Decke ringelte. Katrine dachte an ein Tier, das im Licht der Scheinwerfer erstarrt war.
»Sie müssen erleichtert gewesen sein, als Sie das gehört haben«, sagte Beate vorsichtig.
Irja schüttelte den Kopf, mechanisch wie eine Puppe.
»Er ist nicht tot.«
Katrine war gleich klar, dass sie das wörtlich meinte. Was hatte sie als Erstes über Valentin gesagt? Sie kennen Valentin nicht, er ist anders. Nicht war. Ist.
»Warum glauben Sie, erzähle ich Ihnen das?« Irja drückte die Kippe auf der Tischplatte aus. »Er kommt näher. Tag für Tag, ich spüre das. Manchmal wache ich morgens auf und spüre seine Hand an meinem Hals.«
Katrine wollte sagen, dass man das Paranoia nannte und dass so etwas häufig in Zusammenhang mit Heroin auftrat. Aber irgendwie war sie sich plötzlich nicht mehr sicher. Und als Irjas Stimme zu einem leisen Flüstern wurde, während ihr Blick zwischen den dunklen Ecken des Raumes hin und her tanzte, spürte Katrine sie auch. Die Hand an ihrem Hals.
»Ihr müsst ihn finden. Bitte. Bevor er mich findet.«
Anton Mittet sah auf die Uhr. Halb sieben. Er gähnte. Mona war ein paarmal mit einem der Ärzte bei dem Patienten gewesen. Ansonsten war nichts passiert. Man hatte viel Zeit nachzudenken, wenn man so dasaß. Zu viel Zeit, eigentlich. Nach einer Weile hatten die Gedanken die Tendenz, negativ zu werden. Deshalb wäre es schon gut, wenn die negativen Dinge Dinge wären, an denen er etwas ändern könnte. Aber an dem Vorfall in Drammen konnte er nichts mehr ändern, die Entscheidung, den Schlagstock, den er am Waldrand unweit des Tatorts gefunden hatte, nicht zu melden, konnte er nicht mehr rückgängig machen. Und auch all die Male, die er Laura unglücklich gemacht und verletzt hatte, waren ebenso wenig auszulöschen wie die erste Nacht mit Mona oder die zweite.
Er zuckte zusammen. Was war das? Ein Geräusch? Es schien weiter hinten vom Flur zu kommen. Er lauschte konzentriert. Jetzt war es wieder still. Aber er hatte sich das nicht eingebildet, dabei sollte es hier, abgesehen von dem gleichmäßigen Piepen des Apparates im Krankenzimmer, keine Geräusche geben.
Anton stand lautlos auf, löste den Riemen, der über den Schaft der Dienstwaffe führte, und nahm die Waffe aus dem Halfter. Entsicherte sie. Sie müssen verdammt gut auf ihn aufpassen, Anton.
Er wartete, aber es kam niemand. Er setzte sich langsam in Bewegung. Er rüttelte an allen Türen, aber sie waren vorschriftsmäßig verschlossen. Er ging um die Ecke und sah den Flur hinunter. Überall brannte Licht, und es war niemand zu sehen. Er blieb noch einmal stehen und lauschte. Nichts. Vielleicht hatte er sich doch verhört, dachte er und schob die Waffe zurück ins Halfter.
Verhört? Nein. Irgendetwas hatte die Luft in Schwingungen versetzt, die die sensible Membran in seinem Ohr zum Vibrieren gebracht hatten. Nicht stark, aber stark genug, damit die Nerven dieses Signal ans Gehirn weiterleiteten. Das
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