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Koma: Kriminalroman (Ein Harry-Hole-Krimi) (German Edition)

Koma: Kriminalroman (Ein Harry-Hole-Krimi) (German Edition)

Titel: Koma: Kriminalroman (Ein Harry-Hole-Krimi) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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bedeutet aber nicht, dass die Tat im Ursprung nicht rational war und der Täter wirklich daran geglaubt hat, durch diese Tat Erlösung zu finden. Aber Rache ist in der Phantasie in aller Regel süßer, auf einen wütenden Eifersuchtsmord folgt häufig Reue, und das Crescendo, das ein Serientäter aufbaut, endet fast immer in einer Antiklimax, worauf der Täter es gleich noch einmal versucht. Kurz gesagt …« Er stand auf und ging zurück zur Tafel. »Was Mord angeht, stimmt es in der Regel, dass Verbrechen sich nicht lohnt. Für das nächste Mal möchte ich, dass sich jeder von Ihnen Gedanken über ein Motiv macht, das ihn selbst zum Mörder machen könnte. Ich will keinen politisch korrekten Bullshit, ich will, dass Sie in die finstersten Ecken Ihres Inneren abtauchen. Na ja, sagen wir, in die fast finstersten Ecken, das reicht wahrscheinlich. Und lesen Sie bitte Aunes Abhandlung über die Persönlichkeit und das Profil eines Mörders, okay? Und ja, ich werde Kontrollfragen stellen. Haben Sie also Angst und kommen Sie vorbereitet. Und jetzt raus mit Ihnen.«
    Das Klappen der Sitze, die gegen die Lehnen schlugen, hallte durch den Raum.
    Katrine blieb sitzen und sah die Studenten an sich vorbeilaufen. Zum Schluss waren nur noch drei Leute im Raum. Sie selbst, der Dozent, der die Tafel abwischte, und der blonde Pferdeschwanz, der sich mit eng zusammengeschobenen Füßen und Notizen unter dem Arm dicht hinter ihn gestellt hatte. Katrine registrierte, dass sie schlank war. Und dass ihre Stimme jetzt anders klang als während der Vorlesung.
    »Glauben Sie nicht, dass der Serientäter, den Sie in Australien geschnappt haben, Befriedigung empfunden hat, als er die Frauen umgebracht hat?« Jetzt wirkte sie extra kindlich, wie ein kleines Mädchen, das sich bei seinem Vater einschmeicheln will.
    »Silje …«
    »Ich meine, er hat sie doch vergewaltigt. Das muss für ihn doch gut gewesen sein.«
    »Lesen Sie Aunes Abhandlung. Wir können dann beim nächsten Mal darauf zurückkommen. Okay?«
    »Ja, ist gut.«
    Sie blieb stehen und wippte auf den Füßen auf und ab. Als wollte sie sich auf die Zehenspitzen stellen, dachte Katrine. Um oben bei ihm zu sein. Der Dozent steckte seine Unterlagen in die Mappe, ohne sie zu beachten. Da drehte sie sich abrupt um und lief schnell die Stufen zum Ausgang hinauf. Sie wurde langsamer, als sie Katrine sah, musterte sie kurz, ehe sie wieder einen Gang zulegte und durch die Tür verschwand.
    »Hallo, Harry«, sagte Katrine leise.
    »Hallo, Katrine«, antwortete er, ohne aufzublicken.
    »Du siehst gut aus.«
    »Gleichfalls«, sagte er und zog den Reißverschluss seiner Ledermappe zu.
    »Du hast mich kommen sehen?«
    »Ich habe dich gespürt. « Er sah auf. Und lächelte. Es hatte Katrine schon immer verwirrt, welche Veränderung sein Gesicht durchlief, wenn er lächelte. Wie dann plötzlich alles Harte, Abweisende, Lebensüberdrüssige, in das er sich sonst wie in einen abgewetzten Mantel hüllte, verschwand und er mit einem Mal aussah wie ein verspielter, großer Junge. Wie ein Sonnentag in Bergen mitten im Juli. Ebenso willkommen wie selten und kurz.
    »Und was heißt das?«, fragte sie.
    »Dass ich irgendwie erwartet habe, dass du kommst.«
    »Hast du das?«
    »Ja. Und die Antwort ist: Nein.« Er klemmte sich die Mappe unter den Arm, kam vier Stufen auf einmal nehmend zu ihr hoch und umarmte sie.
    Sie drückte ihn an sich und sog seinen Geruch ein. »Nein zu was, Harry?«
    »Nein, du kriegst mich nicht«, flüsterte er ihr ins Ohr. »Aber das wusstest du ja schon.«
    »Pah!«, sagte sie und tat so, als versuchte sie, sich aus seiner Umarmung zu befreien. »Hättest du nicht dieses hässliche Biest, bräuchte ich allenfalls fünf Minuten, um dich Bürschchen zu umgarnen. Und ich habe nicht gesagt, dass du soooo gut aussiehst.«
    Er lachte, ließ sie los, und Katrine dachte, dass er sie gerne noch etwas länger festhalten dürfte. Sie war sich nie ganz darüber klargeworden, ob sie Harry wirklich wollte oder ob das nur eine fixe Idee war, zu der sie keine Stellung zu beziehen brauchte, weil es ohnehin vollkommen unrealistisch war. Mit der Zeit war ein Spiel daraus geworden, ein Spaß mit unklarem Inhalt. Außerdem war er wieder mit Rakel zusammen. Oder »dem hässlichen Biest«, wie Katrine sie nennen durfte, weil das so absurd war, dass Rakels irritierende Schönheit damit nur noch unterstrichen wurde.
    Harry rieb sich das nachlässig rasierte Kinn. »Hm, wenn es nicht mein

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