Komische Voegel
Richtung Kieler Förde, wo bei diesem warmen Wetter vielleicht Mückenschwärme über dem Wasser schwebten. So ging sie dahin, meine schöne Theorie. Einen Tag später saß ich auf einer Terrasse und hatte einen Pappbecher Espresso vor mir auf dem Tisch stehen. Eine Wespe landete auf dem Becherrand. »Verzieh dich, und zwar schnell«, sagte ich zu ihr. »Du bist viel zu früh dran.« Wespen am 16. April, wohin soll das noch führen. Aber sie war brav, stach mich nicht und machte sofort den Abflug.
Petra
21. Woche 2009
Hinter der Stiftsbuchhandlung Maschmann in Nottuln liegt ein kleiner Garten, den man über ein Treppchen erreicht. Vor der Lesung drehten Frau Maschmann und ich eine Runde durch diesen Garten und versuchten niederländische und deutsche Pflanzennamen zusammenzubringen, was manchmal auf dem Umweg über die wissenschaftlichen Bezeichnungen auch gelang. In solchen Momenten dankt man Linné
wieder einmal auf bloßen Knien. Es gab eine gerade verblühte Felsenbirne ( krentenboompje ), außerdem einen Flieder ( sering ) und einen Haselnußstrauch ( hazelaar ), die unglaublich dilettantisch zurückgeschnitten worden waren. Ein befreundeter Buchhändler, der »gerne im Freien« ist, hatte das getan, nach Anweisungen des Ehepaars Maschmann. Eine auch ohne Blüten schöne Kletterrose ( klimroos ) bedeckte die ganze Seitenwand eines alten Fachwerkschuppens, zwei quaderförmig beschnittene Eiben ( taxussen ) flankierten eine grüne Gartenbank.
Nach der Lesung kam aus dem Keller eine alte Katze zum Vorschein, die dort unten geduldig das Ende des Betriebs abgewartet hatte. Petra heißt sie, und sie verbringt ihr Leben mehr oder weniger unterirdisch, weil sie »sehr scheu« ist. Ich hockte mich hin, was ich normalerweise nur für Hunde tue, und sofort machte sich die Katze laut klagend davon. Petra kann nur in Begleitung in den Garten, weil die dort wohnenden Vögel sie sonst angreifen und rücksichtslos auf sie einpicken. Als ich das hörte, kam mir der Gedanke, daß die Katze vielleicht einen sehr großen Adler in mir gesehen hat.
Jedes Jahr – erzählten die Maschmanns weiter – gibt es aber eine Zeit, zu der Petra sich gefahrlos auf das Treppchen zum Garten wagen kann. Nämlich im Herbst, wenn die Vögel von den Früchten der Felsenbirne berauscht sind. Dann torkeln sie mit ausgebreiteten Flügeln über den Rasen und bleiben benebelt zwischen Schmetterlingsflieder und Hortensien liegen. Dann, nur dann, sitzt Petra wie eine alte Königin auf dem Treppchen und blickt verwundert in den sonst so feindlichen Garten. Kein Vogel pickt auf sie ein, sie versuchen es nicht einmal. Petra sitzt und schaut, tagelang, schüttelt höchstens hin und wieder besorgt das alte
Haupt. Die Geschichte gefiel mir, deshalb habe ich sie aufgeschrieben, obwohl ich vermute, daß sie nur typisch deutscher Buchhändlerkohl ist.
A.S. Byatt
20. Woche 2010
Sonntag abend. Solothurn. Es ist sehr still, der Fluß scheint nicht zu fließen, unter der Brücke zur Altstadt schüttelt ein Schwan laut seine Flügel, die Mauersegler, die den ganzen Tag woanders Futter gesucht haben, sind zurückgekehrt, sie fliegen sehr hoch. Auf einmal rieche ich die Kerzen der Kastanie neben dem Mäuerchen, auf dem ich sitze, die Platanen beginnen auszuschlagen. In einer Viertelstunde fährt der Zug nach Zürich, gerade habe ich einen Espresso getrunken, mit einem Grappa dazu. Noch nie war ich so in Zeitdruck mit dem Schreiben meiner Kolumne, die letzten vier Tage hat mich A.S. Byatt in Atem gehalten, der Wunsch, mit dieser Booker-Preisträgerin in Kontakt zu kommen. Sie steht als erste am Büfett, wenn es ein Büfett gibt, füllt mehrmals ihren Teller. Sie trägt eine große Rolle durchsichtiges Klebeband in der Hand oder ums Handgelenk, sie schaut mit dem Blick einer würdigen Matrone in den Raum oder vor sich hin. Und ich schaffe es einfach nicht, sie anzusprechen, und bin doch immer begieriger, etwas über das Warum und Wofür dieser Rolle Klebeband zu erfahren. Ihre Lesung habe ich verpaßt, weil ich nach ihr an der Reihe war und mich vor lauter Nervosität erst noch auf mein Hotelzimmerbett zurückgezogen hatte. Eigentlich hätte ich die Augen offenhalten müssen, die beiden Störche beobachten,
feststellen, wieviel weiter oder weniger weit die Natur hier ist, mir eine witzige Umschreibung für das Verhalten der beiden Enten ausdenken, die dreimal so schnell schwammen, wie ich laufen konnte. Statt dessen war ich die ganze Zeit mit A.S. Byatt
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