Komm, dunkle Nacht
Team?«
»Nein. Mein Großvater. Als ich klein war, haben wir stundenlang vor dem Feuer gesessen und gespielt.«
»Und was war mit Ihrer Mutter?«
»Sie lebte in Chicago. Hier hat es ihr nicht gefallen.«
»Aber Ihnen.«
»Ich war nirgends lieber.« Sie zog eine Grimasse. »Ich mochte die Stadt nicht. So schmutzig und überfüllt und …« Sie stand auf. »Ich habe Durst. Wollen Sie auch eine Limonade?«
»Bitte.«
»Es ist heute Abend nicht so kühl wie gewöhnlich.« Sie ging zum Kühlschrank. »Vielleicht sollten wir das Feuer löschen.«
Er ging zum Kamin. »Aber Ihrer Mutter hat es in der Stadt gefallen?«
»Sie mochte die Lichter und Kinos und Kneipen und die vielen Menschen. Sie hat sich schnell gelangweilt.« Sie reichte ihm ein frostbeschlagenes Glas. »Sie war viermal verheiratet.«
»Das war sicher hart für Sie.«
»Ich hab’s überlebt.« Sie setzte sich hin und streckte die Beine aus. »Im Grunde war das mein Glück. Ich durfte immer für eine Weile zu meinem Großvater, wenn sie wieder geheiratet hat.
Das hat mir natürlich gefallen. Beim dritten Mal durfte ich ganze zwei Jahre lang bei ihm bleiben.«
»Warum hat sie Ihrem Großvater nicht einfach das Sorgerecht übertragen?«
»Manchmal fühlte sie sich einsam. Dann brauchte sie Gesellschaft.«
»Wie nett.«
Sie sah ihn über den Rand des Glases hinweg an. »Ich beklage mich nicht. Die Dinge waren einfach so, weiter nichts. Ich bin nicht misshandelt worden. Manche Leute brauchen eben mehr
als andere.«
»Sie nicht.«
»Wer sollte sich um all die Bedürfnisse kümmern, wenn wir alle gleich wären? Am Ende kommt alles ins Gleichgewicht.«
»Hat Ihr Großvater Sie gebraucht?«
Sie antwortete nicht sofort. »Ich glaube, ja. Schwer zu sagen.
Ich weiß, dass er mich liebte. Er hat es mir am Ende gesagt.«
»Nicht vorher?«
»Er hat nie viel geredet. Er hat sich abgerackert, um diese paar Morgen Land kaufen zu können. Als er in dieses Blockhaus zog, schwor er, dass er es bis zu seinem Tod nie wieder verlassen würde.«
»Wovon hat er gelebt?«
»Er hat Pferde und Hunde trainiert. Er konnte wunderbar mit Tieren umgehen.«
Er nippte an seiner Limonade. »Genau wie Sie.«
»Tiere sind unkompliziert. Sie stellen keine Ansprüche. Man braucht sie nur zu lieben.«
»Manche Menschen sind auch so.«
»Wirklich? Mir ist das noch nie begegnet.«
»Wieso sagen Sie das? Weil Sie eine selbstsüchtige Mutter hatten, die es offensichtlich nicht verstand, für ihr eigenes Kind zu sorgen? Sie sind weit genug herumgekommen, um zu wissen, dass es ganz großartige Menschen gibt.«
»Ich bin nicht verbittert – und überhaupt, was geht Sie das an?«
»Es war nur eine Beobachtung.«
»Sparen Sie sich Ihre Beobachtungen! Frage ich Sie etwa nach Ihrer Lebensgeschichte aus, um dann über Sie zu urteilen?«
»Nur zu. Drehen Sie den Spieß um, das ist nur gerecht.«
»Ich will gar nichts wissen über …« Sie sah ihn herausfordernd an. »Wozu diente diese Forschungsanlage in Santo Camaro?«
»Das ist nicht meine Lebensgeschichte.«
»Also werden Sie es mir nicht verraten?«
»Das habe ich nicht gesagt.« Er blickte in sein Glas. »Es war ein medizinisches Forschungsinstitut. Uns waren dort schon etliche viel versprechende Durchbrüche gelungen.«
»Medizinische Forschung?«
»Ich engagiere mich schon lange auf diesem Gebiet.«
»Und worum ging es genau?«
»Künstliches Blut.«
Sie riss die Augen auf. »Was?«
»Blutersatz. Haben Sie noch nie davon gehört? Über die Forschungen ist in den Medien berichtet worden.«
»Doch, ich habe davon gehört.« Sie musterte ihn eindringlich.
»Es ist wegen Chen Li, richtig? Weil sie an Leukämie gestorben ist.«
»Mit Chen Li hat es angefangen. Es hat mich fast umgebracht, dass ich ihr nicht helfen konnte. Aber ich bin nicht so egoistisch, dass ich nicht sehen würde, dass auch Menschen mit anderen Krankheiten damit geholfen werden kann.«
»Aber warum haben Sie das Institut im Dschungel versteckt?
Warum diese Heimlichtuerei?«
»Industriespionage. Wir sind so verdammt nahe dran. Das Unternehmen, das als Erstes damit rauskommt, wird sowohl die Entwicklung als auch den Markt kontrollieren.«
»Geld?«
»Kontrolle«, wiederholte er. »Ich habe nicht all die Jahre darauf verwandt, Antworten zu finden, um jetzt die Kontrolle aus der Hand zu geben.«
»Und daran arbeitet auch Bassett?«
»Ja, er versucht, die Ergebnisse aus dem letzten Monat zu rekonstruieren. Das Team hat uns monatlich
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