Komm, spiel mit mir: Thriller (German Edition)
Wäre sie ein Tier, dann wäre sie eine graue Maus. Stephanie, die graue Maus. Das war aus ihr geworden. Buddel dich in deinem Mauseloch ein, Stephanie.
Vielleicht ist sie Minna ähnlicher, als sie zugeben will. Denn als sie auf die Schnellstraße fährt und die Stadt hinter sich lässt, bergauf fährt und dann bergab und an der Ausfahrt von Mosgiel vorbei, fühlt sie sich befreit. Bäume, Hecken, Häuser, vorbei am Flughafen, an den sanften, leuchtend grünen Hügeln, und dann kommt Waihola und der langgezogene blaugraue See. In Milton biegt sie nach rechts ab und fährt gen Westen. Eine halbe Stunde später klart der Himmel auf, scheint sich auszudehnen. Alles ist blau in blau, die Sonnenstrahlen goldgelb. Sie wärmen das Auto auf, scheinen Stephanie direkt ins Gesicht. Seit Jahren war sie nicht auf dieser Straße. Sie erinnert sich an die Ausflüge in die Stadt, wenn sie zwischen Liam und Jonny gezwängt auf der Rückbank saß und sie sich gegenseitig die Ellenbogen in die Rippen stießen. Später war Gemma in ihrem Kindersitz dabei. Als sie auf die Welt kam, musste die Familie ein größeres Auto anschaffen. Minna verabscheute den neuen Wagen sportlich, was? Ich hätte nie gedacht, mal in einem Van zu enden. Sie benutzten den Van für Ausflüge und in den Ferien. Mum! Liam boxt mich mit Absicht! Dave und Minna auf den Vordersitzen. Minna dreht sich um und wirft ihnen einen bitterbösen Blick zu hört sofort damit auf.
Eine ganz normale Familie ohne jede Vorstellung von dem, was da auf sie zukommt.
Sie durchquert Lawrence. An der Straße stehen immer noch die alten Pappeln, aber die Häuser wurden renoviert und bunt gestrichen, und entlang der Hauptstraße drängen sich die Cafés. Stephanie hält nicht an. Außer ihr ist kaum jemand unterwegs. Überall Ruhe und Stille, während das Auto sich an die Straße schmiegt und wie von selbst die Kurven nimmt, so mühelos die Steigungen überwindet, als sei es ein Körperteil von ihr. Stephanie fühlt sich eins mit der Straße, den Bergen, der weiten Landschaft, die dem Horizont entgegenstrebt, um mit dem strahlend blauen Himmel zu verschmelzen.
Beaumont. Sie ruckelt über die Brücke, den Clutha River unter sich. Er leuchtet in einem dunklen Jadegrün, auf der Wasseroberfläche glitzert die Sonne silbern, am Ufer sammelt sich gelber Schaum. Früher hatte sie diesen Fluss als ihr persönliches Eigentum betrachtet. Auf dem Rückweg von der Stadt hielten sie oft an dieser Stelle okay, Kinder, wir machen eine kurze Pause, ihr dürft rumlaufen, aber geht nicht zu nah ans Wasser, die Strömung ist gefährlich. Sie wagte sich immer näher ans Wasser, zog die Schuhe aus, tunkte die Zehen ins Wasser, wie um sich etwas zu beweisen, um zu erfahren, ob sie die Eiseskälte ertrug. Sie wird anhalten. Zeit für eine Pause. Sie tritt auf die Bremse, sieht sich um. Irgendwo gab es einen Trampelpfad, der ans Ufer führte. Sie verlässt die Straße.
Sie läuft auf den Steinen am Ufer entlang, bis sie unter der Brücke steht. Das Wasser ist tief und dunkel und fließt schnell. Sie beobachtet ein Stück Holz, das mitgerissen wird und in der Mitte des Flusses von der Strömung eingesaugt wird. Über ihrem Kopf donnert ein Laster hinweg, das plötzliche Rumpeln, das Erzittern der Brücke lässt sie zusammenzucken. Sie kraxelt den Abhang hinauf und steigt wieder ins Auto.
War auch Gemma so erschrocken, als sie an jenem Tag plötzlich merkte, dass sie ganz allein war, dass die Jungs sie im Stich gelassen hatten? Was war passiert? Was? War sie ihnen nachgelaufen, hatte sie nach ihnen gerufen, als sie durch das hohe Gras irrte, durch das Kiefernwäldchen?
Stephanie lässt den Motor an. Sie fährt weiter und entdeckt riesige Obstplantagen. Die Äste der Bäume sind kahl, aber in wenigen Wochen werden sie zu neuem Leben erwachen, schon kann man die unzähligen Knospen erkennen, hier und da sogar ein paar weiß aufblitzende Blüten.
Roxburgh. In der Bäckerei kauft sie ein Brötchen, fragt nach der Rock Road. Rock Road? Fahren Sie durch den Ort und biegen Sie vor dem Damm nach links ab; wenn Sie auf dem Damm sind, sind Sie zu weit gefahren, links und dann gleich wieder rechts, Sie können es nicht verfehlen, junge Frau.
Sie parkt neben einem Spielplatz, setzt sich auf eine Bank, trinkt einen Schluck Saft. Sie läuft ein bisschen herum, reckt und streckt sich, lehnt sich an die Motorhaube und lässt sich die Sonne ins Gesicht scheinen. Sie schiebt es vor sich her. Sie drückt sich davor,
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