Komm, spiel mit mir: Thriller (German Edition)
ist. Das Ganze ist siebzehn Jahre her. Wahrscheinlich hat sie geheiratet und einen anderen Nachnamen angenommen, möglicherweise ist sie weggezogen. Stephanie erinnert sich, Lisa beneidet zu haben, die glamouröse Erwachsene mit den kurzen Shorts und den pastellfarbigen Röcken, den Spaghettiträgertops, den sorgfältig manikürten Finger- und Zehennägeln. Damals war Lisa manchmal mit Ed Black zu Besuch gekommen.
Wie hieß sie mit Nachnamen? Wie hieß sie gleich? Die Familie stammte nicht aus dem Ort. War erst kurz zuvor zugezogen. Sie hatte einen jüngeren Bruder. Nicht ganz so gutaussehend wie Lisa, er hatte rötliches Haar und trug eine Brille, er ging noch zur Schule, ein Jahr unter Stephanie. Gary. Da war irgendwas mit seinem Nachnamen, er wurde deswegen gehänselt. Er hieß Gary, wurde aber anders genannt.
Gee-gee. Er wurde Gee-gee genannt. Weil sein Nachname mit einem G anfing.
Green. Lisa Green. Okay. Sie schreibt den Namen auf, greift zum Telefonbuch. Wanaka. Green. Es gibt sechs Greens in Wanaka, aber keine L. Green. Dafür einen G. Green. Stephanie wählt die Nummer.
Ein Kind meldet sich zögerlich.
»Kann ich bitte mit Gary Green sprechen?«
»Daaad!«
Sie hört Schritte, jemand nimmt den Hörer.
»Hallo?«
»Spreche ich mit Gary Green?«
»Ja.«
»Haben Sie eine Schwester namens Lisa?«
»Wozu wollen Sie das wissen?«
»Ich bin eine alte Freundin von Lisa. Ich war für eine Weile weg, aber jetzt, wo ich wieder da bin, würde ich sie gern anrufen.«
»Und wer sind Sie?«
Sie vertraut darauf, dass er sich die Namen der Freundinnen seiner Schwester nicht gemerkt hat. »Stephanie. Stephanie Anderson. Wahrscheinlich können Sie sich nicht an mich erinnern. Aber früher war ich oft bei Ihnen zu Hause.«
»Tja, ich erinnere mich tatsächlich nicht. Lisa ist jetzt in Roxburgh. Auf einer Obstplantage.«
»Sie meinen, Sie arbeitet auf einer Obstplantage?«
»Sie wohnt da. Und sie arbeitet da.«
Sie kichert, um glaubwürdig und sympathisch zu wirken. »Das ist ja nicht zu fassen. Lisa auf einer Obstplantage?! Es tut mir so leid, dass der Kontakt eingeschlafen ist.«
»Ja. Sie hat einen Obstbauern geheiratet. Sie hat Kinder.«
»Wirklich? Du meine Güte. Ich würde sie wirklich gern anrufen. Wie heißt sie jetzt?«
»Stevens. In der Rock Road.«
»Das ist toll, vielen Dank.«
So einfach ist das.
23.
S ie ist obdachlos und, wenn man es genau nimmt, arbeitslos. Im Kofferraum des Autos liegen der Laptop, ein Schlafsack und die Reisetasche. Sie war einkaufen, hat Jeans, T-Shirts, Pullover und einen Anorak gekauft, dazu einen Badeanzug; Klamotten, wie sie sie seit ewiger Zeit nicht mehr besessen hat. Sandalen, bequeme Turnschuhe und ein Paar weiche Lederstiefeletten mit mäßig hohem Absatz, die sich perfekt um ihre Fesseln schließen und so bequem wie Hausschuhe sind. Rote Stiefeletten. Ihre neuen Stiefeletten sind feuerrot. Kein einziges der Kleidungsstücke in der Tasche ist grau oder braun oder beige. Es ist, als würde sie in den Urlaub fahren. Neue Klamotten, ein flottes Auto.
Sie fährt durch Central Otago auf die Westküste zu und hat vor, Lisa auf dem Weg einen Besuch abzustatten. Sie hat mit dem Gedanken gespielt, sich telefonisch anzukündigen, ihn aber wieder verworfen. Sie will Lisa keine Gelegenheit geben, nein zu sagen, außerdem hat sie sich noch keine Ausrede für den Besuch zurechtgelegt. Schließlich kann sie nicht einfach bei Lisa auftauchen und sie zu ihren Exfreunden ausfragen.
Wer? Hauen Sie ab.
Stephanie wird nervös, und der altbekannte, schwere Angstklumpen in ihrem Brustkorb ist wieder zu spüren. Gleichzeitig hüpft ihr Herz, weil sie in einem schicken Auto sitzt. Weil die neue Jeans wie angegossen sitzt. Weil sie neuerdings einen Kurzhaarschnitt trägt, der ihr ausgezeichnet steht und sie jünger und hübscher macht; es ist sogar vorgekommen, dass sich auf der Straße ein Mann nach ihr umgedreht hat. Weil sie nicht weiß, wo sie heute Abend schlafen wird. Wenn sie sparsam ist, wird sie mit ihrem Geld sechs Monate auskommen. Aber sie muss vorsichtig sein. Sie wird sich keine Luxushotels leisten, sondern in Jugendherbergen unterkommen.
Vielleicht hatte Minna recht immerhin habe ich euch gezeigt, dass man hinter sich lassen kann, was einen belastet. Es gibt keinen Grund, es auszusitzen und für den Rest seines Lebens unglücklich zu sein.
Dabei war sie nicht so sehr unglücklich; vielmehr hat sie sich hinter der Fassade der vernünftigen Stephanie versteckt.
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