Komm stirb mit mir: Thriller (German Edition)
Ton pathetisch und anrührend. Die Antworten des Mannes namens Tom dagegen ließen ihr das Blut in den Adern gefrieren.
Das Werben und Buhlen war allmählich und subtil, Schicht auf Schicht der behutsamen Überredungskunst. Donovan schaute wieder auf das Blatt in ihrer Hand und las noch einmal die Worte einer E-Mail von Tom an Gemma, die klangen wie aus einem lausigen Popsong. Erschütternd mieses Gefasel, dabei wohlkalkuliert genug, um einem naiven jungen Mädchen unter die Haut zu gehen. Tom zog alle Register, um an Gemma heranzukommen und sich immer tiefer in ihrer Psyche einzunisten. Er war der Dirigent, er bestimmte das Tempo. Wie bei einem Musikstück wallte die emotionale Intensität seiner E-Mails auf und nieder, manchmal war er kraftvoll und dramatisch, dann wieder ruhig, zurückgenommen und fast höfisch. Das Leitmotiv all seiner Mails waren Liebe, Tod und Selbstmord. Ihre Liebe stehe unter einem schlechten Stern wie bei Romeo und Julia, die grausame Welt sei gegen sie. Er wusste ganz genau, wie Gemma tickte, und spielte mit ihr wie ein Meister.
Viele Teenager waren vom Tod fasziniert. Doch was für Gemma am Anfang nur eine abstrakte Idee gewesen war, der Wunsch, sich umzubringen, kaum mehr als der Hilfeschrei eines Kindes, war von Tom unerbittlich in die Wirklichkeit transportiert worden. Das Böse in seiner reinsten Form.
Donovan war jenseits der dreißig, dennoch konnte sie sich noch gut an das Gefühl der Entfremdung und der Verzweiflung erinnern, das sie als Jugendliche empfunden hatte, auch wenn es bei ihr nie so schlimm gewesen war wie bei Gemma. Sie musste an ein Mädchen namens Annette denken, die damals in Twickenham im Haus nebenan gewohnt hatte. Eines Tages war Annette wortlos in ihrem Zimmer verschwunden, hatte die Tür hinter sich zugemacht und sich erhängt. Die Schockwellen waren durch die ganze Nachbarschaft gelaufen, aber kein Mensch hatte sich erklären können, warum Annette das getan hatte. Sie hatte den Eindruck einer ganz normalen, glücklichen Vierzehnjährigen gemacht, die ihr Leben noch vor sich hatte; und plötzlich war sie weg. Auch Donovan, damals zwölf Jahre alt, hatte es nicht begreifen können. Monatelang hatten die Bilder von der blonden, langhaarigen Annette mit dem dicken Pony, die wie eine groteske Stoffpuppe tot in ihrem Zimmer hing, sie verfolgt.
Donovan überflog die übrigen Seiten und kam zur letzten Nachricht, die Tom am Tag vor Gemmas Tod verschickt hatte.
Liebste Gemma,
alles ist bereit, und Liebe kennt keine Geduld. Ich wollte Dich zu Hause anrufen, obwohl ich weiß, wie riskant das ist und dass es alles zerstören könnte. Ich wollte Dir Sicherheit geben, Dir sagen, wie sehr ich Dich will. Mach Dir keine Sorgen. Alles wird gut, Du wirst sehen. Vertrau mir. Ich werde um vier Uhr vor der Kirche auf Dich warten. Sei pünktlich, und denk an den Ring – ich habe einen wunderschönen für Dich. Er gehörte meiner Mutter. Wir werden die Ringe tauschen, wenn wir unseren Schwur sprechen. Und denk auch an den Brief an Deine Mutter – den Text habe ich Dir ja geschickt. Du musst ihn nur noch abschreiben, mit Deiner schönsten Handschrift, und deponiere ihn so, dass sie ihn nicht sofort findet. Wir wollen ja nicht, dass sie ihn liest, bevor wir es getan haben. Vertrau mir, es gibt keinen anderen Weg, wenn Du mich wirklich willst. Ich bin sicher, wenn wir uns erst sehen, kann ich Deine Ängste dahinschmelzen lassen. Bis dahin denk an eines: Diese Welt ist es nicht wert, darin zu leben. Es gibt hier für uns keine Zukunft. Denk daran, was mit Dir (und mir) geschehen würde, wenn sie es herausfinden. Sie würden uns niemals erlauben, zusammen zu sein. Denk nur daran, um den Rest werde ich mich kümmern. Wie Shakespeare sagte: »Wenn ich sterben muss, so will ich der Finsternis wie einer Braut entgegengehn, und sie in meine Arme drücken.« Du wirst die allerschönste Braut sein. Ich habe Dich nicht verdient. Geh mit mir in den Tod, meine Liebe, und wir werden niemals getrennt sein. Dein Dich liebender Bräutigam,
Tomxx.
Beim Lesen lief Donovan ein Schauder über den Rücken, und sie dachte an die hohe, düstere Empore in der Kirche, an Gemma und diesen Tom bei ihrer selbst inszenierten Trauungszeremonie mit Weihrauch und Kerzenschein. Arme Gemma. Sie war ihm hilflos ausgeliefert gewesen.
Donovan kannte sich nicht sehr gut aus mit Computern, aber wenn Tom so unmissverständlich von seinem Vorhaben schrieb, musste er sich ziemlich sicher sein, dass man die Mails
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