Komm stirb mit mir: Thriller (German Edition)
übers ganze Land verstreut und waren meist mit ihren akademischen oder klinischen Aufgaben ausgelastet, und sie wusste aus Erfahrung, dass es Wochen und sogar Monate dauern konnte, bis man eine Einschätzung zu hören bekam. Und dann war es meistens zu spät.
Ihr Blick blieb immer wieder an einem speziellen Namen hängen. Sie wollte es nicht, aber ihre Augen wanderten immer wieder zu ihm zurück. Er war die Lösung. Er lebte in London, und wenn es jemanden gab, der alles andere fallen lassen würde, um ihr einen Gefallen zu tun, dann er. Aber war es eine gute Idee, ihn zu fragen? War es klug? Wahrscheinlich nicht. Sie stellte die bestrumpften Füße auf der offenen Schreibtischschublade ab, drehte sich langsam von rechts nach links und wog das Für und Wider ab; Clarkes vorsintflutlicher Stuhl quietschte bedenklich. Nein, klug war es nicht, aber wen sollte sie sonst fragen? Und für den Fall war er genau der Richtige. Über die Konsequenzen konnte sie sich später Gedanken machen. Sie schwang die Füße auf den Boden und tastete mit den Zehen nach ihren Schuhen, während sie zum Telefon griff und seine Nummer wählte. Es war verstörend, dass sie die noch immer auswendig wusste.
»Ein ungewöhnlicher Fall, meinst du nicht?«, fragte Steele und tat, als wäre sie mit ihrem Bitter Lemon beschäftigt. Sie ließ die Eiswürfel im Glas klirren, während sie aus den Augenwinkeln Dr. Patrick Kennedys Reaktion beobachtete. Er tat sein Bestes, sich nur milde interessiert zu geben, aber sie sah ihm an, dass der Fall ihn gepackt hatte. Es amüsierte sie, dass er bei all seinen psychologischen Kenntnissen manchmal so leicht zu durchschauen und sich darüber nicht einmal im Klaren war. Sie schaute zu ihm auf und schenkte ihm ein Lächeln. »Ich habe an dich gedacht, weil du doch ein Buch über Serienmörder schreibst. Ich dachte, für dich könnte der Fall ganz besonders interessant sein, deshalb habe ich bisher noch bei niemand anderem angefragt.«
»Das weiß ich sehr zu schätzen«, sagte er nach einem Schluck Sauvignon Blanc, ein breites Grinsen auf dem jungenhaften Gesicht. »Bisher kenne ich ja nur die groben Umrisse, aber schon jetzt sehe ich da alle möglichen faszinierenden Aspekte.«
Sie saßen im hinteren Teil einer halb leeren Weinbar in South Kensington, unweit von Kennedys Arbeitsstelle in der Forensischen Psychologie der London University. Kennedy war bei der Met ziemlich bekannt, weshalb sie einen Treffpunkt in seiner Nähe und nicht in Barnes vorgeschlagen hatte, weil sie nicht mit ihm gesehen werde wollte, bevor er offiziell mit an Bord war. Jetzt bereute sie, dass sie ihm die Wahl überlassen hatte. Es war zwar schon spät am Nachmittag, dennoch roch es immer noch nach Gebratenem und Zigarettenrauch, die Hinterlassenschaft der Mittagsgäste. Der Geruch würde ihr in den Haaren und den Kleidern hängen bleiben, und sie hoffte, dass sie nicht allzu lange bleiben musste.
Kennedy sah gut aus wie immer. Ausnahmsweise leger in Lederjacke, Hemd und Jeans gekleidet, das breite Gesicht so gut wie faltenlos, das dichte wellige braune Haar ganz ohne graue Strähnen. Obwohl er schon über vierzig war, wie sie den kurzen biographischen Angaben auf seiner Website entnommen hatte, hätte man ihn leicht für einen seiner Doktoranden halten können. Es war ein Glück, dass sie ihm eine Woche zuvor im Peel Centre in Hendon, wo sie normalerweise arbeitete, über den Weg gelaufen war. Er hatte gerade an der Fachhochschule der Met einen Vortrag über Forensische Verhaltensanalyse gehalten, dem neuen Schlagwort der Kriminalpsychologie. Er hatte in dem riesigen Gebäudekomplex eine Kantine gesucht und sich verlaufen. Es war schon eine Weile her gewesen, dass sie sich zuletzt gesehen hatten, und er hatte ungewohnt zögerlich, fast verschämt gewirkt, als er sie einlud, ihm beim Kaffee Gesellschaft zu leisten. Aber sie war auf dem Weg zu einer Besprechung gewesen und schon spät dran, und so hatten sie vereinbart, sich bald einmal auf ein Glas Wein zu treffen. Wenige Tage später hatte er ihr mehrmals auf den Anrufbeantworter gesprochen und diverse Termine vorgeschlagen, aber sie traute ihm nicht ganz über den Weg und hatte nicht zurückgerufen. Wenigstens nahm er ihr das jetzt nicht übel.
»Also, Patrick, was meinst du? Hast du Zeit, dir die Sache anzusehen?« Sie sah ihm in die Augen und versuchte seine Gedanken zu lesen. Er schürzte die Lippen und nahm genüsslich einen Schluck Wein, er ließ sich Zeit. Er wusste, dass
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