Komm und küss mich!: Roman (German Edition)
die Aufmerksamkeit der Erwachsenen zu fesseln. Wenn sie besonders gut war, durfte sie am nächsten Tag vielleicht mit ihnen im Salon sitzen.
Onassis erschreckte sie mit seiner Hakennase und den Augen, die er selbst nachts hinter einer überdimensionalen Sonnenbrille verbarg, sie ließ sich aber widerspruchslos von ihm umarmen. Am Abend zuvor hatte er ihr ein hübsches Halsband
in Form eines Seesterns geschenkt, jetzt wollte sie weitere Geschenke nicht etwa aufs Spiel setzen.
Als Francesca auf Onassis’ Schoß kletterte, warf sie Chloe einen Blick zu, die sich an ihren derzeitigen Liebhaber gekuschelt hatte. Es war Giancarlo Morandi, der italienische Formel-Eins-Fahrer. Francesca wußte alles über Liebhaber, denn Chloe hatte sie darüber aufgeklärt: Liebhaber waren faszinierende Männer, die sich der Frauen annahmen und ihnen das Gefühl gaben, schön zu sein. Francesca konnte es kaum erwarten, erwachsen zu werden und ihren eigenen Liebhaber zu haben. Aber nicht Giancarlo. Manchmal machte er sich mit anderen Frauen davon, dann weinte ihre Mummy. Lieber wollte Francesca einen Liebhaber, der ihr aus Büchern vorlas, mit ihr in den Zirkus ging und Pfeife rauchte, wie einige Männer, die mit ihren kleinen Mädchen im Hydepark am Serpentinenteich spazierengingen.
»Achtung, alle mal hersehen!« Chloe richtete sich auf und klatschte die Hände über dem Kopf zusammen. Francesca kannte diese Geste von den Flamencotänzerinnen in Torremolinos. »Meine schöne Tochter wird euch jetzt einmal demonstrieren, was für unglaubliche Banausen ihr seid.« Diese Ankündigung wurde mit Gelächter begrüßt; Francesca hörte, wie Onassis losprustete.
Chloe schmiegte sich wieder eng an Giancarlo, rieb ein Bein an seiner Wade, während sie den Kopf in Francescas Richtung hielt. »Hör gar nicht hin, meine Süße«, erklärte sie erhaben, »das ist ein nichtsnutziges Pack. Ich weiß gar nicht, warum ich mich mit ihnen abgebe.« Chloe deutete auf einen niedrigen Mahagonitisch. »Tu mal was für ihre Bildung, Francesca. Niemand außer deinem Onkel Ari kann hier das kleinste bißchen differenzieren.«
Francesca rutschte von Onassis’ Knie und ging auf den Tisch zu. Sie spürte die Augen aller auf sich gerichtet und zögerte den Moment absichtlich hinaus. Gemessenen Schritts
und mit hocherhobenem Kopf näherte sie sich ihrem Ziel, wie eine kleine Prinzessin, die ihren Thron besteigt. Beim Anblick der sechs kleinen Goldrandschüsseln auf dem Tisch lächelte sie und warf das Haar zurück. Sie kniete sich vor dem Tisch auf den Teppich und betrachtete die Schüsseln eingehend.
Der Inhalt der Schüsseln hob sich schimmernd vom weißen Porzellan ab – da lagen sechs Haufen glitzernden nassen Kaviars in verschiedenen Schattierungen von Rot, Grau und Beige. Sie berührte die letzte Schüssel, die eine großzügige Portion perlenähnlicher roter Eier enthielt. »Lachsrogen«, sagte sie und schob sie beiseite. »Nicht der Rede wert. Echten Kaviar liefert nur der Stör aus dem Kaspischen Meer.«
Onassis klatschte. Ein Filmstar klatschte Beifall. Mit den nächsten beiden Schüsseln hielt Francesca sich nicht lange auf. »Seehasenrogen, damit brauchen wir uns nicht zu befassen.«
Ein Innenarchitekt beugte sich zu Chloe hinüber. »Hat sie dieses Wissen mit der Muttermilch eingesogen oder durch Osmose aufgenommen?« fragte er.
Chloe belohnte ihn mit einem lüsternen Seitenblick. »Mit der Muttermilch natürlich!«
»Aus dieser wunderbaren Quelle, cara ?« Giancarlo ließ seine Hand spielerisch über Chloes offenherziges Dekollete gleiten.
»Dies hier ist Weißstör«, erklärte Francesca, der die Ablenkung von ihrer Person nicht gefiel. Erst recht nicht, nachdem sie den ganzen Tag mit der Gouvernante verbracht hatte. Die hatte die ganze Zeit vor sich hin geflucht, weil Francesca das Einmaleins nicht lernen wollte. Jetzt tippte diese mit dem Finger auf die Schale in der Mitte. »Die Eier vom Weißstör sind am größten.« Und auf die nächste Schale zeigend, dozierte sie: »Dies hier ist Sevruga. Er hat die gleiche Farbe, die Eier sind kleiner. Er ist fast so groß wie der vom Weißstör, ist aber mehr goldfarben.«
Sie hörte einen Chor von Gelächter, in den sich Beifall
mischte, dann gratulierten alle Chloe zu ihrem klugen Kind. Zunächst lächelte Francesca glücklich über die Komplimente, dann aber war die Freude jäh verflogen. Sie bemerkte, daß alle nur Chloe ansahen, nicht sie. Wieso stand die Mutter im Mittelpunkt des Interesses,
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