Komm und küss mich!: Roman (German Edition)
Wohnzimmer herum, vor dem Klavier blieb er stehen. Seit seinem letzten Besuch hatten sich der Sammlung von gläsernen Briefbeschwerern auf dem Klavier mehrere Fotos in silbernen Rahmen zugesellt, einige von Holly Grace und ihrer Mutter, ein paar von Dallie, einige Schnappschüsse, auf denen sie zusammen zu sehen waren, und einer von Danny, aus dem Jahr 1969.
Dallies Finger umklammerten den Rahmen von Dannys Foto. Das runde Kindergesicht mit den großen Augen lachte ihm entgegen. Wenn Danny noch am Leben wäre, müßte er jetzt achtzehn sein. Es überstieg Dallies Vorstellungskraft. Danny mit achtzehn? Sein Ebenbild und das seiner gutaussehenden Mutter? In seiner Vorstellung war er ein Kleinkind, das auf seinen zwanzigjährigen Vater zugelaufen kam: die Windel voll und die Ärmchen vertrauensvoll ausgestreckt.
Dallie wandte den Blick ab. Nach all den Jahren tat es immer noch weh – nicht mehr ganz so schlimm, aber schlimm genug. Um sich abzulenken, musterte er ein Foto von Francesca. Sie trug knallrote Shorts, saß auf einem Stein und lachte verschmitzt in die Kamera. Mit einer Hand strich sie sich die Haare aus dem Gesicht, mit der anderen hielt sie ein dralles Baby, das zwischen ihren Beinen stand. Er mußte unwillkürlich lächeln. Wie glücklich sie auf diesem Foto aussah! Die Zeit mit Francesca war schön gewesen.
Wer hätte das gedacht, daß Miss Tussipussy Furore machen würde? Und alles aus eigener Kraft, hatte Holly Grace ihm erzählt. Sie hatte ganz allein ein Baby großgezogen und Karriere gemacht. Na ja, das gewisse Etwas hatte sie schon damals gehabt, vor zehn Jahren – den nötigen Elan, um das durchzusetzen, was sie sich in den Kopf gesetzt hatte, und zwar ohne Rücksicht auf Verluste. Wie ein Blitz durchfuhr ihn der Gedanke, daß Francesca in vollen Zügen lebte, während er immer noch in den Startlöchern saß.
Jetzt lenkte er sich mit einer Kassette von Bruce Springsteen ab. Er ging in die Küche und sah in den Kühlschrank. Daß Francesca Holly Grace damals reinen Wein über das Baby eingeschenkt hatte, rechnete er ihr hoch an. Sie hätte ihm Nickys Kind ohne weiteres unterschieben können, aber sie hatte es nicht getan.
Auf der Suche nach weiteren Fotos von Francescas Sohn ging er noch einmal zum Klavier hinüber. Zu komisch, daß
die Zeitungen das Kind immer als Produkt einer unglücklichen frühen Ehe darstellten! So unglücklich, daß Francesca den Namen des Vaters nie nennen wollte. Soweit Dallie informiert war, wußten nur er selbst, Holly Grace und Skeet, daß diese Ehe nie existiert hatte. Sie waren alle drei so beeindruckt von dem, was Francesca für sich selbst geschaffen hatte, daß sie darüber Stillschweigen bewahrten.
Die unerwartete Freundschaft, die sich zwischen den beiden Frauen entwickelt hatte, weckte Dallies Interesse. Mehr als einmal hatte er Holly Grace gegenüber erwähnt, er würde sie liebend gern einmal zusammen sehen. »Ich kann mir das einfach nicht vorstellen«, hatte er einmal gesagt. »Du redest vermutlich pausenlos über das letzte Footballspiel und Francie über ihre Gucci-Schuhe, mit Seitenblicken in den Spiegel …«
»Sie ist gar nicht so«, erwiderte Holly Grace. »Ich meine, sie redet schon über ihre Schuhe, aber nicht nur.«
»Kommt mir vor wie Ironie des Schicksals, daß so eine Frau einen Jungen großzieht. Das Kind wird bestimmt einen Schlag schräg.«
Holly Grace hatte die Bemerkung nicht sehr witzig gefunden, also zog er sie nicht mehr damit auf. Aber anscheinend hatte sie auch so ihre Befürchtungen bezüglich des Jungen. Das Kind war bestimmt ein ziemlicher Duckmäuser.
Als Dallie gerade zum dritten Mal »Born in the USA« ablaufen ließ, hörte er einen Schlüssel in der Eingangstür.
»Hey, Dallie«, rief Holly Grace. »Der Portier hat mir schon Bescheid gesagt. Du wolltest doch erst morgen kommen.«
»Ich hab’s mir anders überlegt. Verdammt, Holly Grace! Hier sieht’s ja aus wie in einem Ärztesprechzimmer.«
Holly Grace sah ihn ganz seltsam an, als sie aus dem Flur zu ihm hereinkam. »Genau das sagt Francesca auch immer. Ist ja richtig unheimlich, wieviel ihr gemeinsam habt.«
»Wie meinst du das?«
Sie warf ihre Handtasche auf ein weißes Ledersofa. »Na, die Ähnlichkeiten sind schon auffällig. Nimm zum Beispiel uns beide. Wir sind doch aus dem gleichen Holz geschnitzt. So wie wir aussehen, so wie wir reden. Und die gleichen Interessen haben wir auch – Sport, Sex, Autos …«
»Und worauf willst du hinaus?«
»Na
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